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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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Merk, Heinrich: Wilhelm von Scholz als Theoretiker des Dramas
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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0091
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WILHELM VON SCHOLZ ALS THEORETIKER DES DRAMAS. 87

vom Dramatiker aus der Konflikt. In seinen früheren Schriften formu-
lierte Scholz seine Anschauung mehr vom Zuschauer aus. »Es gilt,
für jedes Motiv den wesentlichen Konflikt zu finden, der es am klarsten
ausdrückt, der am wenigsten fremder Zutaten bedarf, um zu entstehen«
(H. S. 61). Später änderte er seinen Standpunkt, womit natürlich nicht
gesagt ist, daß er auch seine Auffassung geändert hätte. Er geht nunr
mehr von der Mitte des Dramas, der Idee, aus, um die Aufgabe der
Motive zu bestimmen. Er weist dabei vor allem auf die Bedeutung
des sich-selbst-setzenden Konfliktes hin, der ja schließlich das Wesen
der dramaturgischen Idee ausmacht. Er stellt hier die Forderung auf:
>daß alle wichtigen Momente, die den Ablauf bedingen, aus den beiden
Grundgegensätzen des sich-selbst-setzenden Konfliktes hervorgehen,
daß sie diese Antithese spiegeln müssen« (N. G. S. 70). Dieses Postulat
wird verständlich, wenn man bedenkt, daß die Idee kein abstraktes,
theistisch-abgeschiedenes Dasein führt, sondern als die Seele des Kunst-
werkes in dem voll entfalteten Drama in die Erscheinung tritt. Ein
Motiv, das nicht aus diesem schöpferischen Ursprung hervorgeht,
gehört daher nicht in das Drama hinein; es ist ein Fremdkörper, der
dessen organische Einheit zerstört. »Der Konflikt steht so sehr im
Herzen des Dramas, daß das ganze Werk, soweit es von Blut durch-
pulst wird, von ihm erfüllt ist... daß ein neues Moment der Hand-
lung immer dann überzeugt und voll begründet erscheint, wenn es
sich auf eine der beiden Gegenmächte des Grundkonfliktes stützt«
(N. G. S. 19). Begriff und Eigenart des dramatischen Konflikts selbst,
seine besonderen Merkmale usw. wurden bereits ausführlich behandelt.
Hier handelt es sich nur noch um einzelne Bestimmungen, die weniger
das Wesen als die Gestaltung betreffen; um Probleme also, die man
mit Recht zur Technik des Dramas rechnet. »Der Konflikt bedingt
im Helden nicht ein langes, bewußtes Schwanken, sondern setzt nur
ein schweres, von den Hemmungen des Zwiespalts beengtes Handeln
voraus. Das Zaudern des tragischen Helden ist vielleicht nicht einmal
ein Zweifeln, sondern nur ein in Qualen vor sich gehendes Wachsen
des siegenden Willens über den unterdrückten« (N. G. S. 19). Der
Konflikt ist kein Zustand zaudernder Überlegung, mag diese auch noch
so schmerzlich sein, sondern Kraftentfaltung und -entladung, die durch
die »Wucht der in ihr gebundenen Gegensätze« (N. G. S. 225) für das
Drama fruchtbar wird. »In der großen Leidenschaft wird das Handeln
des Menschen schicksalhaft. Es wird von den aufgeregten Urkräften
getragen wie vom Sturm. Der Wille wird ein dahingerissenes Ge-
schehen« (N. G. S. 223). Hier ist das höchste Ziel dichterischer Wahr-
heit erreicht. Der Zuschauer fragt nicht mehr nach der Möglichkeit'
Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit der Handlung. »Die Illusion
 
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