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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0213
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BESPRECHUNGEN. 209

schaftlichen Welt. Da besteht nun die ernste Gefahr, daß jene ein sehr einseitiges;
ja schiefes Bild von der Lage der gegenwärtigen Kunstphilosophie und Kunstpsyehö-
Iogie empfängt. Die gewaltige Bewegung, in der allgemeine Kunstwissenschaft und
historische Kunstdisziplinen begriffen sind, spiegelt sich kaum andeutungsweise bei
Wundt wieder.

Wundt besitzt die fabelhafte Gabe, sich in jede Wissenschaft einzuarbeiten. Er
liest die Hauptwerke, macht sich mit dem Material bekannt und gewinnt bald
Gliederungen, Begründungen und all das, was er als gewiegter Fachpsychologe zu
den Problemen zu sagen hat. Aber die Nachteile bleiben auch nicht aus. Wo die
Beziehungen zu dem betreffenden Wissensgebiet nicht eng genug sind, entsteht nur
eine blasse »Buchgelehrsamkeit«, also eine gerade für die Psychologie durchaus un-
genügende Grundlage. So sind ihm denn auch gelegentlich fast unglaubliche Erik
gleisungen unterlaufen, wie z. B. Hoernes, Marty und Stumpf nachgewiesen haben.
Und zur Kunst hat Wundt jedenfalls kein inneres Verhältnis. Gundolf würde sagen:
die Kunst ist für Wundt »Bildungserlebnis«, nicht »Urerlebnis«. Keine Psychologie
vermag jenen schlichten Tatbestand' des Erlebens zu ersetzen. Wie sehr darum auch
Wundt gegen konstruierendes Verfahren, Reflexion und Intellektualismus eifert, er
selbst wird von diesen Gespenstern bedräut; denn die eigenen Erfahrungen lassen
ihn im Stich oder sind mangelhaft. So leiden viele Ausführungen daran, daß sie
unscharf, verwaschen, richtungslos sind und dann doch wieder eingepreßt in schwer
bewegliche Kategorien. Unwiderleglich offenbart sich, daß Kunstpsychologie und
auch Völkerpsychologie der Kunst schlechterdings unmöglich sind ohne Philosophie
der Kunst, welche die einzelnen Grundbegriffe säubert, klärt und kritisch-systematisch
verankert, und daß keine Exaktheit irgendwie jene Welt von Erlebnissen herbei-
zwingen und aufmeißeln kann, die sich nur jenem erschließt, dessen ganzes Sein
auf Kunst eingestellt ist.

Den Begriff der Kunst faßt Wundt »in jenem weiteren Sinne, der durch den
Zusammenhang des Wortes mit dem Können unmittelbar nahegelegt ist, und bei
dem als Bedingung des bei der Erzeugung eines Kunstwerkes wirksamen Könnens
zugleich ein Wollen vorausgesetzt wird, das in bestimmten, näher zu untersuchenden
Motiven seinen Ursprung nimmt. Bei welchem Punkte dieser Entwicklung ästhetische
Gefühle sich regen, das bleibt aber ebenso an die im Laufe dieser Untersuchung
sich ergebenden Aufschlüsse über die psychologischen Bedingungen des künstlerischen
Handelns und ihrer Wandlungen gebunden, wie die damit eng zusammenhängende
weitere Frage, welcher Art die Beziehungen seien, die das künstlerische Schaffen
mit den übrigen Faktoren des seelischen Lebens und seiner äußeren Betätigungen
verbinden«. Darin liegt gewiß ein weites Entgegenkommen gegenüber den Be-
strebungen einer allgemeinen Kunstwissenschaft, die es ablehnt, den gesamten Sach-
verhalt der Kunst einseitig auf das Ästhetische festnageln zu wollen; aber man muß
doch fragen: wissen wir heute über Begriff und Wesen der Kunst tatsächlich nicht
mehr, als jene mageren Bemerkungen über Können und Wollen künden? und ist
das Verhältnis des Künstlerischen zum Ästhetischen wirklich so unbestimmt, fast
»zufällig« ? oder handelt es sich vielmehr dabei um Differenzen und Typen innerhalb
eines grundsätzlichen Spielraums, um verschiedene Möglichkeiten im Bereich einer
Gesetzlichkeit?

Wundt gibt auch eine nähere Bestimmung: die Phantasie soll die Grundlage
jeder Art künstlerischer Betätigung sein; und unter Phantasie faßt er alle die seeli-
schen Erscheinungen zusammen, in denen sich eine bildende Tätigkeit offenbart.
Ich stimme keineswegs der Wundtschen Psychologie der Phantasie zu; aber be-
wegen wir uns nicht überhaupt in einem etwas erledigten Zustand der Wissenschaft,

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XIV. 14
 
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