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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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Habicht, Victor Curt: Über Malerbildhauer und Bildhauermaler
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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0258
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254 V. CURT HABICHT.

Erkennbaren und Verbindenden scheinen ausgeschlossen bleiben zu
müssen. Dabei mehren sich die Fälle — besonders in der deutschen
Kunstgeschichte —, wo Nachrichten vorliegen, die die Annahme der
Doppelbegabung und -tätigkeit wahrscheinlich machen, wo wir auf
zwingende urkundliche Nachrichten aber kaum noch hoffen dürfen und
wo wir zu einer vergleichsweisen Gewißheit allein auf dem Wege der
wechselseitigen Erhellung gelangen können. Die geschmäcklerische
Behauptung der Unmöglichkeit — auf Grund orthodoxer Festlegung
der Künstlerpersönlichkeit —, die sehr problematischen Hinweise auf
Qualitätsunterschiede und die einseitige Benutzung von Bestimmungen
der Zunftordnungen können jedenfalls nicht mehr ausreichen, in
strittigen Fällen wie etwa bei Meister Bertram, Meister Francke, Konrad
Witz, Hans Multscher, Hans Raphon, Meister Wolter, M. Grünewald
und anderen die Diskussion abzuschneiden und die Problemstellung
überhaupt zu verweigern.

Es dürfte demnach angebracht sein, sich über die Grenzen der
Malerei und Plastik einig zu werden, ihre Berührungspunkte aufzufinden
und die Fäden bei Emanationen durch eine Persönlichkeit aufzu-
weisen J).

Zunächst aber sind die bequemen, üblichen, unsachlichen Einwände
in Summa zu beseitigen.

Der dürftigste entspringt den Grenzen des Denkens der Beurteiler,
mehr einer gefühlsmäßigen Inanspruchnahme für eine Seite des künst-
lerischen Schaffens als einer kühlen (aber darum keineswegs weniger
liebenden) Denkbarmachung der genetischen Entwicklung. Je ein-
dringender die alle Denkfaktoren erfahrungsgemäß bestimmende »Ein-
fühlung«, der selig-süße Akt der gefühlsmäßigen Kontaminität, gewesen
ist, umso apodiktischer wird die Entscheidung für die eine oder andere
Wesensseite des Künstlers ausfallen. Die ebenso starke Inanspruch-
nahme Michelangelos für die Kategorie der Maler wie für die der
Bildhauer kann deshalb nicht verwundern. Die gefühlsmäßige Be-
tonung droht unter Umständen die unumstößlichen Nachrichten zu
kassieren oder zu Berichten von erzwungenen Leistungen zu degra-
dieren. Im voraus sei gesagt, daß die völlig gleichmäßige Verteilung
der Gaben an sich durchaus möglich und denkbar ist. Im Grunde ist
sie weit weniger ungeheuerlich als die stündlich zu erleidende Hetero-
nomie unseres Seins (Materie und Geist) überhaupt. Zu gleichmäßiger
und gleichwertiger Emanation setzt sie allerdings eine Harmonie des

') Erst nachträglich kommt mir die Arbeit von O. Wulff, Grundlinien und
kritische Erörterungen zur Prinzipienlehre der bildenden Kunst, Stuttgart 1917, in
die Hände, in der ich wichtige Bestätigungen meiner Ansichten finde, die ich zum
Teil noch berücksichtigen konnte.
 
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