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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0302
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298 BESPRECHUNGEN.

Zusammenarbeit der Individuen und Generationen, Verknüpfung des Allgemeinen
und Bleibenden mit dem Individuellen und Wechselnden. Er unterschätzt das
synthetische Element nicht, das auch im Elektizismus liegt. Eine Wahrheit verliert
durch Wiederholung nichts an ihrem Wert. Im Geiste dieser Methode entwirft
Katann eine neuscholastische Theorie des Schönen, ein System der Künste, eine
Theorie des Tragischen usw., sich überall mit der wissenschaftlichen Tradition mit
Sorgfalt auseinandersetzend. Da diese Auseinandersetzung nicht mit der Wieder-
holung alter Wahrheiten endet, mit Besonnenheit und grosser Literaturkenntnis
geführt wird, liest man sie mit Gewinn. Vielleicht ist der Verfasser in seiner
Verehrung der Tradition auch manchmal ein wenig zu weit gegangen. Nicht jede
historisch vorliegende Lösung eines Problems trägt ja zu seiner systematischen
Förderung bei, und nur solche Lösungen haben eigentlich das Recht, weiterge-
schleppt zu werden, die heute noch fruchtbar sein können. Doch dient das histo-
rische Material bei Katann nie dazu, den Mangel an eigenen Gedanken zu ver-
decken. Seine Kritik des Vorhandenen ist nie kleinlich mörgelnd, sondern selb-
ständig und zu Neuem führend.

Merkwürdig ist, daß der Verfasser gerade in dem grundlegenden Aufsatz des
Buches, dem Entwurf einer neuscholatischen Theorie des Schönen, eine historische
Anmerkung zu machen vergessen hat, die wohl der Mühe wert gewesen wäre.
Man kann der Definition des Schönen als einer »naturgemäßen Betätigung der ge-
samten vom Objekt ausgelösten Erkenntniskräfte« nicht lesen, ohne an Kants
Theorie vom Spiel der Erkenntnisvermögen zu denken. Bei aller Verschiedenheit
rückt durch die Betonung des Begriffs der Erkenntnis in dieser Definition die neu-
scholastische Ästhetik in eine scholastische Gedankengängen sonst recht fremde
Nähe zu Kantischen Gedanken, und es wäre verdienstlich gewesen, die Verwandt-
schaft und den Gegensatz der beiden Theoren wenigstens anzudeuten. — Daß
katann das Verfahren seiner Ästhetik, vom Menschen, nicht von Gott auszu-
gehen, induktiv nennt, ist wohl nicht zu billigen, denn auch bei diesem Beginn
wäre noch ein anderes als »induktives« Verfahren möglich. Die Andeutung, die et;
am Schlüsse über die Beziehung der Trinitätslehre zum Schönheitsbegriff macht,
sind tiefsinnig und schön, aber sie zeigen auch, daß eine Ästhetik, die zu solchen
Gipfeln führt, nicht induktiv heißen kann.

Auch die »synthetische« Lösung des Problems der Geltung des ästhetischen
Gefallens scheint mir nicht ganz glücklich. Katann meint, jeder fällt sein ästhetisches
Urteil nach dem Kulturstand und seiner psychischen Beschaffenheit — insofern ist
die Theorie der Relativität im Recht. Die Objektivität aber wird dadurch gewahrt,
daß man ein typisches, ideales, ästhetisches Gefallen annimmt, dessen Korrelat der
Typus einer idealen Kunst wäre, an deren Wesen die verschiedenen Werke der
Völker, Zeiten und Individuen Anteil haben. Auch auf dem Gebiet der Kunst alsq
herrscht das Gesetz der Arbeitsteilung und Werkfortsetzung. — Ich möchte diese
überschauende Art der Betrachtung nicht gering schätzen. Aber mir scheint, daß
hier entweder ein kulturhistorisches Apercu für eine systematische Lösung eintritt,
oder daß die Lösung wohl in einer ungenannt bleibenden tiefer liegenden Schicht
fundiert sein mag, daß sie aber dann keine wissenschaftliche mehr heissen kann,
denn diese Schicht könnte nur die einer theologischen Metaphysik sein. Es ist
natürlich, daß die religiös-metaphysischen Voraussetzungen des Verfassers gerade
beim Problem der Subjektivität zum Vorschein kommen mußten. In allem übrigen
merkt man nichts von ihnen, sondern findet voraussetzungslose Forschung. Der
Takt Katanns tritt besonders in den Aufsätzen, die ästhetische Grenzfragen be-
handeln, hervor, wie in dem über die Tendenz, über Dichtung und Moral, die1
 
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