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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0307
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BESPRECHUNGEN. 303

Deutungen und hymnischen Ergüssen besteht. Daneben finden sich freilich gute
.Beobachtungen und manches von nicht bloß persönlicher, sondern allgemeinerer
Geltung.

Der junge Hodler ist Realist, sein Ideal die Wahrheit; dann entgleitet er dem
Genrehaften und der Anekdote, die Liebe zum Portrait wird kühler, aber er ver-
fällt nicht der Gedankenmalerei, nicht der Allegorie, sondern erhebt sich zum
stimmungsmäßigen Symbol. Von dem Bilde »Zwiesprache mit der Natur« — nackter
Jüngling in Wiesenlandschaft — sagt der Verfasser: »Die Figur des Jünglings
verrät durch Gebärde, Stellung und Gesichtsausdruck bereits den tiefen Wunsch
des jungen Künstlers, über die Wiedergabe des Greifbaren und Wägbaren hinaus-
zudringen und einzutreten in das unerkannte und geheimnisvolle Gebiet des Geistigen
und der Seele.« Weiterhin wächst der Künstler über den Kreis des Individuellen
in den umfassenderen der Gemeinschaft; der vielerörterte Parallelismus und das
Motiv der Wiederholung drücken das Gemeinsame einer Vielheit aus. Hodler hat
den Einzelfall überwunden, die Gestalten werden zeit- und raumlose Menschen-
brüder. »Hodler nimmt aus ihrer Hand den Stock, von ihrem Kopf den Hut,
er entkleidet sie modischer Tracht und umhüllt sie mit Gewändern, die zeitlos
sind, wie die Figuren selbst. Die Wände des Zimmers, die sie umgrenzten,
schrumpfen zusammen, die Welt ist um sie herum. Nicht fünf Leidende, nicht
fünf Enttäuschte und Lebensmüde sitzen vor uns: die Enttäuschung, die Müdigkeit
selbst steht vor uns und erschüttert uns.« Daher »Platoniker«, Gestalter von Ideen.
Der Verfasser zitiert das Wort Heinrich Heines: »Wer mit den einfachsten Sym-
bolen das Meiste und Bedeutendste ausspricht, der ist der größte Künstler.«

Ähnlich erklärt Steinberg die Abkehr von der Farbe in den »Darstellungen
des Allgemein-Gültigen« im Gegensatze zu den Landschaften; sie bedeutet ja zweifel-
los eine gewisse Abstraktion, ohne daß man mit dem Verfasser gerade eine Not-
wendigkeit dafür wird anerkennen können. Denn daß das »Wechselspiel der Farbe,
das Licht des Augenblicks, die Buntheit einer bestimmten Stunde« bei »Darstellungen
des Ewigen« nicht paßt, leuchtet wohl ein, aber daß die Bilder über die Dinglich-
keit der Welt hinauswachsen (d. h. rein seelische Stimmungen verkörpern), ist
noch kein Grund gegen eine stärkere Farbigkeit; soviel könnte man immerhin von
den Expressionisten, bei aller wünschenswerten Vorsicht ihnen gegenüber, theo-
retisch lernen. Hodler wird eben in jenen Darstellungen rein zeichnerisch, und
seine farbige Haltung ist da weniger platonisch als protestantisch. Die weißen oder
kaltgetönten zeitlosen Mäntel der Gestalten erinnern an die kalkige Frostigkeit
mancher protestantischen Kirchenräume; beide Male liegt der Grund des Verzichts
auf Farbe in einem Streben nach reiner Geistigkeit.

Die Darstellung einer »historischen Idee« mit ihrer Beschränkung auf das
Wesentliche hat der Verfasser in dem Auszuge der Jenenser Freiwilligen hübsch
aufgezeigt: »Man sieht es deutlich vor sich, wie es ein anderer etwa gemalt hätte:
Ein Stadtbild mit deutschen Giebeln, bemalten Fensterscheiben, winkligen Gassen;
blumengeschmückte Jünglinge füllen erregt Straßen, Mütter, Bräute und Schwestern
tragen Waffen nach, winken mit Tüchern und Händen oder stehen niedergebeugt
von innerem Schluchzen, in tiefer Not verloren. Ein gewaltiger Apparat von Dingen
und Menschen hätte auf uns Wirkung ausüben, lärmende Umständlichkeit uns er-
greifen sollen.« Dagegen Hodler: »Was bedeutet ihm der Zufall eines Ortes, wo
das Ereignis abrollt, was kann ihm die Nebensächlichkeit unwesentlicher Umstände
sein vor der Idee des historischen Geschehens . .. Nur so erklärt es sich, daß wir
diese machtvollen Werke, die doch gegenständlichste Wirklichkeit festhalten, durch
abstrakte Begriffe umschreiben können. So dürfte man unter den »Auszug der
 
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