Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0310
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
306 BESPRECHUNGEN.

Künstlers in Frage zu stellen, daß seine Gebärden überhaupt nicht selten schematisch
lind ein wenig leer sind. Das eigentümlich Inbrünstige und Ergreifende der
Hodlerschen Kunst liegt weniger in den Gesten und im Gesichtsausdruck, als in
einzelnen Linien, sei es am Körper, im Gewand oder in der Landschaft. In-
sofern ist Hodler in gewissem Sinne Vorläufer des Expressionismus, der ebenfalls
auf die einfachsten und abstrakten Elemente der Sichtbarkeit zurückgeht. Eine
Hodlersche Gestalt rührt oder erschüttert oft durch die Lage einer Hand, einer
Schulter, oder sie sprüht von Leben in einem Fuß, ohne daß die Figur als Ganzes
überzeugend oder auch nur glaubhaft zu sein braucht. Die Gesamthaltung scheint
oft mehr nach den Anforderungen der formalen Komposition als nach inneren Aus- •
drucksgeboten gedreht oder geschraubt zu sein. Auf diese Art bleibt in manchen
Bildern etwas Gewolltes oder Gemachtes zurück. Der außerordentliche Wert auch
solcher Werke liegt dann, abgesehen von den einzelnen Formelementen, in der
ganz großen Bildkomposition, die gelegentlich ebenfalls etwas errechnet wirken
mag, fast immer aber den Stil des monumentalen Wandbildes besitzt.

Im gleichen Verlage wie das Heft über Hodler den Platoniker ist kurz darauf
ein anderes »Von Hodlers letztem Lebensjahr« erschienen. Sein Verfasser
ist Dr. Johannes Widmer, der dem großen Künstler persönlich besonders nahe
gewesen ist. Ich hebe zunächst einige Stellen heraus, die an den Gedankengang
der anderen Schrift anklingen. Hodler hat in den letzten Lebensjahren vornehmlich
Landschaften gemalt, die wir in Deutschland infolge des Krieges noch nicht kennen
und auf die wir nach Widmers Mitteilungen besonders begierig sein dürfen. Diese
Landschaften waren nach der Überzeugung des Künstlers anders als seine früheren,
nämlich *des paysages piane'taires«, planetarische Landschaften. »Sehen Sie, wie
da drüben alles in Linie und Raum aufgeht? Ist ihnen nicht, als ob sie am Rande
der Erde stünden und frei mit dem All verkehrten? Solches werde ich fortan
malen.« Der Verfasser sagt dazu: Im Anfang (dieser letzten Zeit) waren seine
Landschaften noch irdisch, gegenständlich nah, in einem gewissen Grade noch von
der Art des Naturschnittes. Auf den folgenden Bildern aber trat das Einzelne
mehr und mehr vor dem Gesamten, der Berg vor dem Gebirge, das Gebirge vor
dem AU zurück. Zwar verleugnete die Sache ihre Wahrheit nirgends. Die Än-
derung betraf die Einstellung: die Erde wurde von der Höhe her betrachtet. Sie
wich. Ein Bergrücken erstand am anderen, wie Wellen aufeinanderfolgen. Und
er gab sich der unermeßlichen Herrlichkeit und Klarheit der blauen Wölbung hin,
die sich über die endlosen Wellenberge schwang, aus dem Unbekannten erstieg
und ins Unerforschliche hinübergriff. Als trage ihn ein sieghaftes Flugzeug, so
schuf er um diese Zeit. Die Erde trat seinem sinnenden und bildenden Geiste
mehr denn je im Kosmos entgegen. Da waren sie, die planetarischen Landschaften.«
Das ist freilich mehr religiös als platonisch. Auch Menschen hat er so gemalt.
»Die alte Besorgnis um die äußere Ähnlichkeit entschwand noch ganz. Eine über-
wältigende innere Ähnlichkeit, die überpersönliche Wahrheit der Menschenform,
trat an den Tag.« Der Verfasser sagt sehr schön von dieser Kunst, »der es ge-
geben ist, das Vielzuviele zu schlichten und die Wirrnis der Welt aufzuhellen: Was
war das für eine Seele, die eine so krause Außenwelt so heiter sah und ihre
Rätsel malend löste?« Eine gute Unterscheidung zwischen Handlungsgeste und
Ausdrucksgebärde findet sich gelegentlich des großen Schlachtenbildes »Murten«,
dessen architektonische Gestaltung es erlaubt hat, die einzelnen Figuren mit Be-
deutung auszustatten: »Selbstverständlich heißt hier Bedeutung etwas anderes als
in Jena. Wir stehen mitten in der Schlacht, und jene gedankentiefen Gebärden,
die Vorgefühle vor dem Kampfe vergegenwärtigen, würden hier nicht am Platze
 
Annotationen