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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0322
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318 BESPRECHUNGEN.

Franz Schrekers, ein von Bernhard Diebold geschriebener Lebenslauf der »Ariadne«
und zwei Aufsätze der Kapellmeister Rottenberg und Brecher.

Bekker erweist von neuem seine Fähigkeit, das einzelne in einen großen Zu-
sammenhang einzufügen und gedanklich zu durchdringen ; er bewährt daneben die
Gabe, durch Geschmeidigkeit des sauber gehaltenen Ausdrucks dem einzelnen seine
Besonderheit zu lassen, die von jener zuerst erwähnten Fähigkeit her bedroht wird.
So gelingt es ihm, den Dichter-Komponisten Franz Schreker mit Wagner zu ver-
knüpfen, ohne ihn zu einem Wagnerianer zu machen. Bei Schreker nämlich wieder-
holt sich, so meint Bekker, der für Wagners Werk entscheidende tiefere Zusammen-
hang textlicher und musikalischer Gestaltung. Dieser Zusammenhang entsteht aus
einer ursprünglichen musikalischen Ergriffenheit, die zur dramatischen Form und
damit zur Dichtung drängt; alles andere im »Gesamtkunstwerk« ist Äußerlichkeit
oder Theorie. Während nun bisher gewisse Seiten des Worttondramas fortgebildet
wurden (in der Märchen-Oper Humperdincks, der Festspiel-Oper Pfitzners, der
Musizier-Oper Straußens, der Theater-Oper d'Alberts), ist Franz Schreker das gleiche
Phänomen wie Wagner, »nur in ganz anderer, die Verwandtschaft der Art auf den
ersten Blick kaum erkennenlassender Verkörperung«. Über diese Wertung Schrekers
kann ich nicht urteilen, da ich zu wenig von ihm kenne, aber zu der Auffassung-
Wagners möchte ich bemerken, daß sie mir eine nach rückwärts gewendete Kon-
struktion zu sein scheint; will man Wagner nicht von der Gegenwart her, sondern
aus sich selber verstehen, so darf man schwerlich seine Dichtung, Bühne, Philo-
sophie aus einer Allmacht der in ihm lebenden Musik ableiten, sondern man muß
ihm schon eine ursprüngliche Vielfalt der Begabungen zuerkennen. — Der Kapell-
meister Rottenberg bringt einige Aphorismen, sein Amtsgenosse Brecher einen Bei-
trag zu der Frage, ob das Publikum den Dirigenten auch sehen muß, um vollen
Genuß von einer Orchesteraufführung zu haben. Die letzte Frage möchte ich —
nach meinen persönlichen Erfahrungen — bejahen. Auf die Dauer ist das bloße
Hören anstrengend, wirkt die Einschränkung auf den einen Sinn lähmend, und
schon deshalb wünsche ich bei reiner Instrumentalmusik den Kapellmeister oder
den Solisten sehen zu können, so oft es mir beliebt; außerdem jedoch tragen die Aus-
drucksbewegungen des Künstlers zur Erhellung seiner Absichten aufs reizvollste bei,
es scheint mir theoretische Engherzigkeit, wenn man auf ihre Mithilfe beim Nach-
leben der Musik verzichten will. Ein Umstand freilich, auf den Brecher hinweist;
ohne ihn mit dem Problem zu verkoppeln, stört bei der Beobachtung des Diri-
genten: das »Vorschlagen«. Zwar muß jeder Musizierende beim Spielen die sich
anschließenden musikalischen Gebilde voraussehen, teils um dem augenblicklich Ge-
spielten den rechten Ausdruck zu sichern, teils aus technischen Gründen (Wahl des
Fingersatzes u. dgl.), aber der Leiter eines Orchesters muß Zeichen geben, und
diese Zeichen, die sich auf Einsatz, Stärkegrad, Empfindung beziehen, müssen vor-
zeitig erfolgen, um ihre Wirkung auszuüben. So kommt es, daß man während des
lautesten Orchesterklanges beschwichtigende Bewegungen sieht oder beim Anfang
der Manfred-Ouvertüre wegen des »Vorschlagens« nicht zur Auffassung der Syn-
kopen gelangt. Der Kundige, zumal wenn er selbst einmal im Orchester gesessen
hat, zieht das alles in Rechnung, der technisch weniger geschulte musikalische
Hörer wird dadurch gestört.

Ein »literarischer Teil« des Sammelbandes beschäftigt sich mit Theatergeschichte
und dramatischer Dichtkunst. Im Anschluß an Max Herrmanns grundlegende Ar-
beiten wird Theaterwissenschaft bestimmt als »die Wissenschaft von der Gesamtheit
der Künste, wie sie das moderne Theater beansprucht, also ebensosehr Schauspieler-
analyse wie Kostümkunde und Geschichte der Architektur und Malerei«. Offenbar
 
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