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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0430
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426 BESPRECHUNGEN.

Waetzoldts Versuch mußte mißglücken, weil er den obersten Einteilungsgrund
für das Gesamtschaffen der modernen Malerei nicht ihrem eigentlichen Wesen,
sondern ihrem Darstellungsgehalt entnimmt. Die Entwicklung jeder Kunst verwirk-
licht sich aber fraglos in der Wandlung der Ausdrucksmittel, auf denen ihre eigen-
tümlichen Wirkungen beruhen, wenngleich nicht unabhängig von dem Vorstellungs-
inhalt. Jeder malerische Zeitstil ist demgemäß durch den doppelten polaren Gegen-
satz bestimmt, der durchgehends innerhalb der künstlerischen Anschauungsweise
und der Ausdrucksmöglichkeiten der Malerei überhaupt besteht. Die Entwicklung
schwingt in längeren oder kürzeren Zeitabschnitten einerseits inbezug auf den
Formausdruck zwischen einem formklärenden plastisch-linearen (beziehungsweise
zeichnerischen) und einem formauflösenden, rein malerischen Stil, anderseits in-
bezug auf die Farbengebung zwischen einer dekorativ koloristischen und einer
illusionistisch tonigen Bildgestaltung. Zwischen der künstlerischen Anschauungs-
weise und dem Bildstoff (beziehungsweise dem Darstellungsgehalt) besteht nun aller-
dings eine Spannung, die in einem weiteren Gegensatz malerischer Stilbildung zur
Erscheinung kommt. Allein dieser Gegensatz bleibt nicht auf die Malerei, ja nicht
-einmal auf die bildenden Künste beschränkt. Er entspringt aus dem Verhalten des
gestaltenden Künstlers zum Gegenstande seiner Kunstschöpfung und führt zur Unter-
scheidung eines mehr nachbildenden (imitativen) und eines sich frei auswirkenden
(dynamischen), mehr umbildenden Stils, oder in moderner Zuspitzung: des Impres-
sionismus auf der einen und des Expressionismus auf der anderen Seite. Beide
Grundrichtungen steigen und sinken unter dem Einflüsse der allgemeinen Zeit-
stimmung ziemlich gleichmäßig sowohl in der Malerei wie auch in der Dichtkunst,
die mit der ersteren den reichsten Vorstellungsgehalt gemein hat und in der Ge-
samtbewegung meist die eigentliche Führung übernimmt. Wollte Waetzoldt den
Entwicklungsgang der modernen Malerei schildern — sei es auch nur im Sinne
einer fortlaufenden Wellenbewegung und nicht eines stetigen Fortschritts zu einem
Höhepunkt der Vollendung, wie er offenbar den Entvvicklungsgedanken in der Kunst
mit Recht versteht —, so mußte er die leitenden Gesichtspunkte nicht nur für die
Betrachtungsweise, sondern auch für ihre Folge den obigen Voraussetzungen abge-
winnen. Nur so konnten die genetischen Zusammenhänge bloßgelegt und die zeit-
genössischen Schlagworte auf ihre Berechtigung nachgeprüft werden. Das ist leider
nur in beschränktem Maße erreicht worden, vielmehr wurden die verschiedenen
Richtungen des repräsentativen und des naturalistischen Stils des Impressionismus
und des Expressionismus nach chronologischer oder geographischer Folge in die
oben genannten Bildgattungen eingeordnet. Aus der Brechung des allgemeinen und
des individuellen Kunstwollens in den einzelnen Bildgattungen lassen sich aber weder
die inneren Zusammenhänge des Stilwandels erkennen noch abschließende Urteile
über Wert oder Unwert der neuesten Bestrebungen ableiten, für die der Verfasser
lebhaft eintritt. Daß Waetzoldt diese Zusammenhänge nicht erkennt, soll damit keines-
wegs behauptet werden. Im Gegenteil — er sieht alle wesentlichen Beziehungen.
Um so mehr aber ist es zu bedauern, daß es infolge ihrer gewaltsamen Zerreißung
nicht zur klaren Erfassung und noch weniger zur befriedigenden Darstellung der
aufeinanderfolgenden und sich kreuzenden Strömungen kommt. Vor allem aber
fehlt das einigende Band einer durchgehenden Würdigung derselben unter dem
Gesichtspunkt der künstlerischen Anschauungsweise. Dieses findet nur bei den
jüngeren Richtungen die gebührende Berücksichtigung. Die durchgängige Bewer-
tung nach dem gegenständlichen Gehalt aber bietet dafür keinen ausreichenden
Ersatz, führt vielmehr zu ungleichartiger Beurteilung.

Da Waetzoldt in der Betrachtung der verschiedenen Bildarten den Zeitablauf
 
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