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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0116
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102

BESPRECHUNGEN.

viel gleichmäßiger in Pläne als in Orvieto. Allein das bedeutet keine Rückkehr zum
einreihigen Reliefstil eines Guido da Como, sondern hat seinen tieferen Grund in der
unverkennbaren Einwirkung von Giottos Monumentalstil, was der Verfasser ja selbst
s. Z. erwiesen hat. Nicht nur Entlehnung einzelner Gestalten in leichter Umbildung
aus der Bilderfolge der Peruzzikapelle, wie der Maria bei der Namengebung oder
des Violinspielers bei dem Gastmahl, bezeugen sie, sondern auch gewisse Bewe-
gungsstellungen wie das starke Vorbeugen bei feststehendem Unterkörper des Jüng-
lings am Kerkergitter (vgl. dazu z. B. die Träger bei der Erweckung der Drusiana).
Und zugleich mit dem Körpergefühl hat sich die Gewandbehandlung zum Einfache-
ren gewandelt, wenngleich der gotische Goldschmied auf das Linienspiel nicht ver-
zichtet. Vielleicht hat das monumentale Vorbild auch die absteigende Folge der
Erzählung bestimmt.

Die übrig bleibenden letzten Seiten des Buches führen uns in Florenz an den
Punkt heran, wo der erzählende Stil seinen Abschluß in der systematischen Zusam-
menfassung des Bildstoffes erreicht, wie in Siena durch Ambrogio. Ein Jahrzehnt
später geschieht das in der Strozzikapelle von S. M. Novella, indem die Verleihung
des Buches der Weisheit an Thomas von Aquino auf dem Altarbild A. Orcagnas.
durch die vier Deckenbilder seiner Vereinigung mit je einem Tugendpaar ergänzt
und in den Zusammenhang der drei Wandgemälde eingefügt wird, von denen das
Weltgericht an der Fensterwand die Trennung der Gerechten und Verdammten
veranschaulicht. In der Höllenfreske wirkt schon Dantes Vorbild unmittelbar auf
die Darstellung des Straforts als „Zellengefängnis" ein, während im gegenüber-
stehenden Paradiese der Maler an der leiblichen Erscheinung der Seligen in alter-
tümlicher Staffelung festhält, in der ich noch kein Hervorquellen aus der Tiefe
erkenne. Noch fester in sich geschlossen ist der um 20 Jahre spätere Bildschmuck
des Kapitelsaales, in dem sich an den festen Kern der Passionsfolge an der Altar-
wand und den beiden Gewölbkappen der Mittelachse durch die Zwischenglieder
des Phngstwunders und der Navicella in den quergestellten Kappen die Domini-
kanerallegorien an den Seitenwänden anschließen, der Triumph des Thomas in
strenggegliedertem systematischem Aufbau rechts und die dramatisch belebte Ketzer-
bekehrung durch die Domini canes in wechselnder Blickführung links. Die doppelte
Bilderreihe der Taten des Petrus Martyr an der Eingaugswand bildet nur eine
Ergänzung, die ich jedoch weniger als Legende zur Erbauung nach der Predigt
auffassen möchte wie als Übergang aus der Gedanken- in die Tatenwelt der Wirk-
lichkeit, — zugleich aber aus der schon gelockerten Rhythmik der Ecclesia militans in
den vollen Illusionismus der Raumgestaltung. Wir stehen also auch hier am Wende-
punkt, wie im Campo Santo zu Pisa, dessen berühmte Bilderfolge Schmarsow
wegen solcher Zersetzung durch den novellistischen Geist einer neuen Zeit von der
Betrachtung ausschließt.

„Das Zeitalter Dantes geht" damit „zu Ende", — d. h. das Zeitalter, aus dessen
Geist seine Dichtung geboren ist, was ich nicht „im Sinne einer unmittelbaren
Wirkungsperiode seines Geistes und seiner weltumspannenden Schöpfung" verstehen
möchte. Deren Wirkung als Bildstoff beginnt im Gegenteil erst hier und steigt zu-
sehends, wie die Zunahme der Buchillustration der Commedia bis zum ersten Höhe-
punkt in Botticellis Federzeichnungen beweist. Fortan wächst sie aber wie alle
Dichtung von bleibender Bedeutung in die Anschauungsweise jeder neuen Zeit hin-
ein. Was Schmarsow meint, ist wohl, daß ihre innere Form der epischen Schilde-
rung und die Sprachform ihrer rhythmischen Gestaltung aus demselben Lebens-
gefühl geboren ist wie die bildende Kunst seines Zeitalters oder umgekehrt. Er hat
unzweifelhaft recht, wenn er die Rhythmik für das Grundgesetz auch der letzteren
 
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