Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0307
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BESPRECHUNGEN.

293

die doch die deutsche gesellschaftliche Karikatur zu sehr beträchtlicher künst-
lerischer Höhe entwickelt hat.

Mit all dem soll selbstverständlich nicht gesagt sein, daß in dem Buche
Christoffels nicht viele wertvolle, zukunftsreiche Gedanken enthalten seien; überall
regt er zum Nachdenken über die von ihm berührten Probleme an; manche For-
mulierung ist scharf und unmittelbar überzeugend; anderes zwar übergeistreich zu-
gespitzt, aber doch voll selbständiger Ideen. Die Gefahr dieses Buches, wie mancher
anderen, die verwandten Geistes sind, scheint mir, ich betone es nochmals, eben in
der Verabsolutierung von Erkenntnismomenten zu liegen, die nur in rela-
tiver Beschränkung und Bedingtheit wahrhaft wissenschaftlichen Erkenntniswert
beanspruchen können. Der Charakter aller Nationen, Völker, Rassen, Staaten etc.
läßt sich, wie mir scheint, auf eine Anzahl nicht weiter analysierbarer, aber streng
wissenschaftlich festzustellender Ur- und Grundelemente zurückführen, auf deren
variable Mischungen die Verschiedenheit und der Gegensatz zwischen den ein-
zelnen sekundären, zusammengesetzten, historisch gewordenen sozialen Gebilden
zurückzuführen ist. Macht man aus diesen sekundären Bildungen primäre Ur-
gebilde, versucht man absolute, unüberbrückbare Gegensätze letzter Instanz an
Stelle von Mischungsdifferenzen zwischen ihnen festzustellen, so gerät man not-
wendigerweise auf das schlüpfrige und gefährliche Gebiet willkürlich-phantastischer
und konstruktiver Deutungen, die um so bedenklicher sind, je lockender und ver-
heißender sie gewissen Strömungen entgegenkommen, die, abseits aller wahren
Wissenschaft, befangen in der Zeit und ihren Leidenschaften, für die scheinbare
Bereicherung von wissenschaftlicher Seite her besonders dankbar sein müssen.

Man kann sich wohl kaum einen schärferen Gegensatz denken als den, den
nach Anlage, Behandlungsweise und Methode das Buch des bekannten französischen
Architekten de Lasteyrie über die Architektur der französischen Gotik, das nach
seinem Tode von semem Schüler und Freunde Marcel Aubert herausgegeben worden
ist, zu einem Werke von der Art des Christoffeischen Buches bildet. Man kennt
seinen Stil und seine Auffassung aus seiner schon vor längerer Zeit erschienenen
Geschichte der romanischen Baukunst in Frankreich, zu der das vorliegende Buch
die unter dem schweren Leid des Krieges und unter tausend technischen Nöten
geborene natürliche Fortsetzung bildet. L. ist ein Kenner seines Stoffes, wie es
wohl kaum einen zweiten gegeben hat oder auch heute noch geben dürfte: jede
kleinste Dorfkirche seines Vaterlands, jeder Turmknauf und jedes verborgenste
Ornament ist ihm vertraut, und er umgibt es mit der rührend-zärtlichen Liebe
dessen, der sich, wie für eigene Kinder, für Wesen und Schönheit jedes kleinsten
Gegenstandes verantwortlich fühlt. Seinen Stoff teilt er nach rein sachlichen Ge-
sichtspunkten; nacheinander werden in einzelnen Kapiteln die verschiedenen äuße-
ren Merkmale der gotischen Architektur, etwa: Anlage und Grundriß der Kirchen,
Säulen und Kapitale, Fassaden und Absiden, Malerei und Plastik als dekorative
Hilfsmittel usw. behandelt; bis in die kleinsten Details wird, durch zahlreiche
Abbildungen unterstützt, beschrieben und geschildert und wieder beschrieben und
wieder geschildert, mit einer souveränen Beherrschung des Stoffs vor allem nach
seiner technischen Seite. Wo Probleme angeschnitten werden, sind es in erster
Linie solche kritischer Art, die technische Einzelheiten behandeln; hier zeigt er sich
als Meister vorsichtig abwägender Beurteilung. Wo er darüber hinausgreift, sind
es vor allem Ursprungs- und Beeinflussungsprobleme, die sein Interesse erregen
und denen er sich mit einer gewissen leidenschaftlichen Anteilnahme hingibt. Hier-
bei aber zeigen sich schon mit aller Deutlichkeit die Grenzen seiner Begabung und
seiner Auffassungsfähigkeit. Das Resultat ist überall das gleiche: Frankreich ist
 
Annotationen