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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0309
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BESPRECHUNGEN.

295

Verfasser mit ängstlicher Hast sich von dem immer ja etwas schlüpfrigen Boden
solcher Ursprungsfragen, soweit sie fundamentale Wandlungen des allgemeinen
Geistes betreffen, auf das ihm vertraute Festland kritischer Einzeluntersuchungen
zu retten suchte, auf dem er sich dann in breiter Behaglichkeit tummelt: die Frage
etwa, in welcher Provinz Frankreichs die ersten Spuren gotischer Wölbungen zu
finden seien, die er zu Gunsten der Ile de France entscheidet, füllt unverhältnis-
mäßig viele Seiten; ebenso viele sind der Abwehr gegen jene Thesen gewidmet, die
irgendwelchen Einfluß von außen her bejahen. Dabei ist aber merkwürdigerweise
von Strygowskis bekannten Hypothesen mit keinem Worte die Rede, während weit
unbedeutendere Annahmen einer ausführlichen Erörterung gewürdigt werden.

Jede kulturhistorische Betrachtungsweise wird mit ängstlicher Scheu vermieden;
hie und da, aber völlig wähl- und systemlos, spielen einmal die politischen Ereig-
nisse in das sonst streng abgeschlossene Gehege der technischen Untersuchungen
und Darstellungen hinein; vom heiligen Thomas, von der Entwicklung der Mystik,
von der innerkirchlichen Opposition, von dem Zusammenhang all dieser Phänomene
mit den künstlerischen Wandlungen ist kaum mit einem Worte die Rede. Die
Renaissance aber ist ihm in Frankreich ein reines Fremdengewächs, Import aus
Italien, verhängnisvoll die innerfranzösische Entwicklung überwuchernd; ob nicht
auch in Frankreichs Kunst wie in seiner Kultur Ansätze zu solchen Neubildungen
vorhanden waren, die durch den von außen eindringenden Einfluß nur zur Entfaltung
und Ausbreitung gebracht wurden, wird als Problem nicht einmal erfaßt, ge-
schweige denn beantwortet.

So bleibt, bei aller Anerkennung des Geleisteten, zuletzt doch ein leises Gefühl
der Unbefriedigung, wie man es angesichts eines in allzu enge Grenzen eingezwäng-
ten, wenn auch in diesem Bereich fruchtbaren, Geistes empfindet.

Leipzig. Alfred Dören.

Fritz Strich, Deutsche Klassik und Romantik oder Vollendung
und Unendlichkeit. Ein Vergleich. Dritte veränderte und wesentlich vermehrte
Auflage. München 1928. Meyer u. Jessen. 428 S.
„Kunstgeschichte ohne Namen" ist mehrfach geschrieben worden. „Literatur-
geschichte ohne Namen" wohl noch nie. Es scheint, als sei eine solche noch
schwerer zu verwirklichen, denn wenn Strich in seinem Wölfflin gewidmeten Nach-
wort erklärt, daß eine grundbegriffliche Betrachtung in der Geschichte der Dich-
tung „auf das ganze Menschentum und all seinen, nicht nur formalen, Ausdruck
erweitert werden mußte", so liegt in dieser Abkehr vom bloß Formalen eigentlich
auch eine Abkehr vom Namenlosen und Unpersönlichen. Aber was ist grund-
begriffliche Betrachtung dann noch? Bei Wölfflin mehr als eine Methodik und
doch keine Datengeschichte, sondern letzten Endes eine Geschichtsphilosophie. Nicht
historisch bedingtes Schicksal, nicht menschliches Erlebnis, sondern psychologisch-
apriorische Gesetzmäßigkeit, ein Bloßlegen der Voraussetzungen für das Schaffen.
Und doch kann man ihn nicht falscher verstehen, als wenn man seine Grundbegriffe
„Hilfsbegriffe" nennt. Die Bezugnahme auf Kant* Kategorie — wohl der Anlaß
dieser Bezeichnung — hat ihren guten Grund; nur erschöpft sich die Problemstel-
lung nicht mit diesem Vergleich. Denn es besteht zwar apriorische Voraussetzung
für das Zustandekommen jedes Kunstwerks, ja jeder Gestaltung überhaupt in der
Wahl einer der Kategorienreihen, da es aber keine „Wahl" ist — und darin liegt
das eigentlich verwickelte, aber auch eigentlich wesentliche Moment — wird aus
der apriorischen Kategorie das historische Gesetz.
 
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