Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0228
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
214

BESPRECHUNGEN.

nommen) abstraktesten dieser Gegenstände gerade für Reimpell unmittelbar sinn-
lich durchwoben sind, geht aus den besagten Selbstauslegungen schlagend hervor.

Die beiden Reihen von Sichtgebilden „bei Konzentration auf Namen bekannter
Komponisten" sind von A. zu einer Tabelle über die Häufigkeit der in den proto-
kollarischen Beschreibungen auftretenden Farbennamen ausgewertet, aus welcher
eine Bestätigung des charakterologischen Bildes der Versuchsperson abgeleitet wird.
Hier scheint jedoch die allerdings nicht ausschlaggebende graphische Veranschau-
lichung des Ergebnisses der Tabelle anfechtbar (S.96). Seine auffällige Vorrang-
stellung verdankt hier „Gelb" nur dem, daß darunter nicht bloß Kress, sondern
auch Braun subsumiert ist; diese beiden Qualitäten stehen aber zu Rot mindestens
ebenfalls in Beziehung (d. h., es hängt davon ab, in welcher Tönung das Kress
und Braun im besonderen Falle gedacht ist), und Gelb allein bleibt hinter Rot allein
um einiges zurück. Anfechtbar ist ferner auch die mit diesem Diagramm verbundene
Behauptung, daß die „Anzahl aller Farbenbezeichnungen für die einzelnen Quali-
täten ... sogar noch bei den hohen Gegenwartskulturen" dieser Verteilung gemäß
sei (S. 96). Eine von mir versuchte Zusammenstellung der rund 100 charakteristi-
schen Farbenbenennungen unseres heutigen Deutsch (unter Ausschluß aller Be-
nennungen nach dem Farbstoff — mithin der meisten Palettenfarben) ergibt das
Schwergewicht für Rot, dem Gelb wohl am nächsten, aber nur dann gleichkommt,
wenn man Kress dazu zählt; Braun dagegen macht einen eigenen starken Posten
aus, der zu Rot mindestens ebensosehr in Beziehung steht wie zu Gelb.

Über das Deskriptive hinaus begnügt sich A. im übrigen mit bloßen Aus-
blicken und Andeutungen etwaiger Ergebnisse; endgültige Aufstellungen hierüber
sind nicht als Aufgabe der vorliegenden Schrift gedacht. Was ohne weiteres deut-
lich wird, ist ganz allgemein dies: wie weit das Problem der Synästhesie davon
entfernt ist, eine bloße Kuriosität innerhalb der Psychologie der Wahrnehmung
darzustellen. Schon einmal erweist sich gerade an den Tatsachen der Synästhesie
die Psychologie der Wahrnehmung als nicht praktisch isolierbar aus der Psychologie
des Denkens, Fühlens, Wollens; insbesondere erscheint alle Wahrnehmung hier
durchsetzt von „geistigen", gedanklichen Prozessen: so etwa in dem Streben nach
Bildung sinnvoller Systeme unter gleichgeordneten elementarischen Inhalten. „Die
Synästhesien erweisen nicht nur die innere Einheit der Sinne, ihre Wechselwirkungen,
Stellvertretungen und ihr Zusammenwirken, sondern auch die Einheit und das In-
einanderwirken der Sinne, des peripheren', mit dem Geistigen, dem Fühlen und
Wollen in deren alter Bedeutung, also dem ,Zentralen"' (S. 103). Eben hierin
wurzelt fraglos auch die besondere kulturwissenschaftliche Bedeutung der synästhe-
tischen Tatbestände: wie dies auch in einem Kapitelchen zur „Bedeutung der Sy-
nästhesien" der Anschützschen Untersuchung andeutungsweise vorausgeschickt ist,
namentlich mit Hinblick auf Sprache, Musik, Malerei (S. 16 f.).

Ein ganz besonderer Zusammenhang der synästhetischen Erscheinungen stellt
sich indessen immer greifbarer und unabweislicher heraus: hier werden Brücken
geschlagen zu dem Phänomenkomplex des sog. Okkulten. An eine erste An-
deutung von E. R. Jaensch anknüpfend, gibt A. schon 1926, in seiner eingangs
genannten ersten Arbeit zur „komplexen musikalischen Synopsie", in nicht weniger
als 19 Punkten eine Übersicht über die Übereinstimmungen zwischen synästhe-
tischen und okkulten Phänomenen1). Die Frage nach der Stellung der Versuchs-

1) Farbe-Ton-Forschungen I, Leipz. 1927, S. 205 ff.
 
Annotationen