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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0311
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BESPRECHUNGEN.

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betonte, positive Beziehungen zu Kant herausstellen, was die ungeheure Verwickelt-
heit der Problemlage, vor die wir hier gestellt werden, deutlich machen kann. Aber
gerade in diesen und den folgenden Ausführungen fördert Weinhandl aus den Tie-
fen Ooetheschen Qeistesschatzes viel Neues und Bedeutungsvolles an den Tag. Ich
hebe nur hervor, daß er in den Abschnitten über Polarität, über das Verhältnis
von Systole und Diastole und seine Beziehung zu dem Verhältnis von Aktiv und
Passiv auch dem mit Goethe tiefer Vertrauten viel Feines und Selbstermitteltes zu
sagen hat1), wie denn auch der „ldee"-Gedanke Goethes hier eine ansprechende
Würdigung erfährt.

Während in dem ersten bisher besprochenen der im ganzen drei Hauptteile sei-
nes Werkes Weinhandl mehr Grundriß und Bausteine bereitstellen will, leistet er in
den beiden anderen Hauptteilen unter den Titeln: „Die Vermittelung von Subjekt
und Objekt" und „Die Metaphysik des Symbols" den eigentlichen Aufbau. Die
Untersuchung über die Vermittelung von Subjekt und Objekt setzt nun mit einem
Kapitel über „Goethe und Kant" ein. Dabei will Weinhandl, im Gegensatz zu den
meisten anderen Behandlungen dieses ungemein schwierigen und verwickelten Pro-
blems, über das die Meinungsverschiedenheiten wohl kaum jemals werden aus-
geglichen werden können, Goethe weder als Kantianer noch als Antipoden Kants
sehen. Und darin kann ich ihm nur rückhaltslos zustimmen. Es sei aber gerade über
dieses Verhältnis ein für den ganzen Fortgang meines Berichtes nicht unwesent-
liches grundsätzliches Wort vorausgeschickt. Goethe hat bekanntlich in Kant „unter
allen neueren Philosophen den vorzüglichsten" gesehen. Daraus rechtfertigt es sich
zwar, daß Weinhandl allein auf Kant sehr genau eingegangen ist. Aber gerade dar-
um muß es auch etwas überraschen, daß er in erster Linie das Unterscheidende und
Gegensätzliche betont, obwohl er ja gewiß selber in Goethe nicht den „Antipoden"
Kants sehen will. Ich selber bin gewiß auch weit davon entfernt, in Goethe einen
„Kantianer" zu sehen, möchte darum aber doch auch, soweit das in einem Referat
überhaupt geschehen kann, im folgenden wenigstens auf einiges grundsätzlich Be-
deutungsvolle ihrer Obereinstimmung hinweisen. Wie schwierig die ganze Problem-
lage ist, das geht schon daraus hervor, daß in der Tat Kants Unterscheidung zwi-
schen analytischen und synthetischen Urteilen, die der Kantianismus einfach als
etwas Unantastbares übernahm, nicht befriedigen kann, wie sie auch Goethe nicht
befriedigen konnte, daß es aber — diese Unterscheidung muß selbstverständlich von
der zwischen Analysis und Synthesis selber aufs schärfste unterschieden werden —
doch auch nicht zutrifft, mit Weinhandl zu meinen, die Synthesis könne nach Kant
„konstitutiv nur dann sein, wenn man dabei in irgendeiner Weise von Getrenntem
ausgeht, Getrenntes als Ansatz zu Grunde legt, das erst durch eine Synthesis des
menschlichen Geistes zu einer Einheit verbunden wird". Damit wird höchstens der
subjektiven Synthesis als „Funktion der Seele", als Verbindung durch das mensch-
liche Bewußtsein, nicht aber der „reinen Synthesis", und noch weniger dem Gedan-
ken des „Grundes" oder dem des „Gesetzes" der Synthesis bei Kant Rechnung
getragen. Und der wichtige Gedanke Kants, daß alle Trennung die Verbindung
zur Voraussetzung hat, oder, wie es Leibniz und mit ihm Goethe in wörtlicher
Übereinstimmung formulierte, daß jede Analyse eine Synthese voraussetzt, auf den
Weinhandl zwar hinsichtlich Goethes selber verwiesen hat, kommt aber hinsichtlich
Kants nicht zur Geltung. Wie wenig darum auch für Kant „lediglich ein Plural von

') Im Vorbeigehen möchte ich, weil es von besonderem Interesse ist, doch
auch darauf hinweisen (was Weinhandl nicht hervorhebt), daß Goethe hinsichtlich
des Verhältnisses von Analyse und Synthese sich mit Leibniz in geradezu über-
raschender, am Hauptgesichtspunkte wörtlicher Übereinstimmung befindet.
 
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