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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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Mann, Otto: Grundlagen und Gestaltung des Lessingschen Humors
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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0016
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OTTO MANN

dem Tragödien- und dem Lustspieldichter statt. Hier gestaltet Lessing
aus der Mitte seines Lebensgefühls. Er gibt zugleich sich selbst eine
objektive und geltende Form. Der Dramatiker, der sich der Kunst-
mittel der Weltliteratur bemächtigt, durch sie das deutsche Drama er-
neuert, um ein hohes deutsches Theater ringt, will über sein Subjekt
hinaus ein Ausdruck deutschen Wesens, eine gültige Formung und eine
öffentlich wirkende, eine die Nation bildende Kraft sein.

Zwanzig Jahre lang hat Lessing um die Erneuerung des deutschen
Dramas und Theaters gerungen. Im Drama allein hat er reine, runde,
wirkende Werke hinterlassen, ist er über seine zeitbedingten und -ge-
bundenen Reformen noch Gegenwart. Er wird um so fragmentarischer,
dunkler, gewichtloser, je weiter er von diesem Mittelpunkt abrückt. Les-
sings Philosophie ist heute noch und berechtigt umstritten: ob er ver-
borgener Systematiker, Gelegenheitsdenker, sokratisch sich verhüllender
Ironiker, und was in diesen Denkweisen seine Anschauung gewesen2).
Selbst als literarischer Reformator gibt er weit mehr tätige Kritik als
eine Ästhetik. Auch seine umfänglichste Untersuchung, der Laokoon,
bleibt Fragment und nicht zufällig Lessings formalste ästhetische Ana-
lyse, die nirgend an den ihm wesentlichen Gehalt, an das Tragische oder
Komische, heranreicht. Kritik aber betreibt Lessing stets um der Dich-
tung selbst willen; teils um das Falsche zu stürzen; mehr noch, um sich
für sein eigenes Dichten Raum, Klärung, Können zu schaffen. Und mehr
noch als bei Schiller und Hebbel erfüllt sich hierin sein Denken. Denn
er bildet keine Philosophie, des Tragischen und Komischen aus; aber
seine Philosophie führt zum Tragischen hin und seine ästhetischen
Studien gehen auf die Bedingungen, unter denen dieses Weltgefühl im
Drama erscheinen kann. Wenn er sich selbst in der Hamburgischen
Dramaturgie den Rang eines Dichters verweigerte, er zurücktrat hinter
die Phantasiekraft eines Klopstock oder auch das natürliche Ingenium
eines Corneille, so verneint er nicht seine dichterische Kraft, die aus
seinen Dramen unmittelbar spricht, sondern nur eine phantasiehafte
Form der Dichtung, die im Glück der Zeit oder der Natur gründet.
Selbst Goethe fand sich die Weltfülle und tragische Offenheit eines

getragener Gegenstand positivistisch exakter Erkenntnis. Dies Gewinn und Schwäche
der Biographie Erich Schmidts (1884—92). Die moderne Lessing-Literatur leidet an
der subjektiven Zerspaltung der Wissenschaft, die eine grundsätzliche und begrün-
dende Klärung der Lessing-Frage hintertreibt; s. meinen Bericht: Neue Lessingfor-
schung. Ztschr. für deutsche Philologie 1935.

-) Daß noch 1929, zum 200jährigen Geburtstag Lessings, ein Preis ausgesetzt
werden konnte für eine Darstellung von Lessings Weltanschauung, beleuchtet die
Lage. Eine befriedigende Antwort ist auch in diesen Preisschriften nicht gefunden
worden.
 
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