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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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Hartlaub, Gustav Friedrich: Das Problem der Vergleichbarkeit: Vorbemerkungen zu einer vergleichenden Stilgeschichte von Musik und bildender Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0229
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Das Problem der Vergleichbarkeit

Vorbemerkungen zu einer vergleichenden Stilgeschichte
von Musik und bildender Kunst

Von

G. F. Hartlaub

L

Die Zeiten, da man (wie Goethe es tat) um der Malereien des
Guercino willen seine Italienreise unterbrach, dagegen den Werken des
Giotto keinen Blick schenkte, liegen um 150 Jahre hinter uns. Trecento
und Quattrocento sind von den Kunstfreunden längst entdeckt; die
„Primitiven", das Archaische, der Begriff Frührenaissance: das alles
wird nicht mehr nur als Vorstufe und „historisch" genommen, sondern
hat seine bis zur Schwärmerei gesteigerte Eigenbewertung erfahren.
In der Musik ist es noch anders! Es kann auch heute noch nicht die
Rede davon sein, daß uns etwa ein Dufay so lebendig wäre wie ein
Memling, ein Gabrieli wie ein Tintoretto oder ein Conductus des
11. Jahrhunderts wie ein ottonisches Miniatur; selbst der schon ältere
Palestrinakult hat immer nur schmale Bildungsschichten ergriffen.
Nazarener und Romantiker, Praerafaeliten, Spätimpressionisten und
Expressionisten haben uns längst dahin gebracht, daß wir die gesamte
vorklassische Malerei als etwas wahlverwandtes empfinden, daß ein
neues, sich oft geradezu primitivistisch gebärdendes Kunstwollen sie als
Kronzeugen aufrief. Der Musik des Mittelalters, ja noch der beiden vor-
bachischen Jahrhunderte, steht die breitere Öffentlichkeit selbst heute,
da die Wiederbelebungsversuche durch historische Konzerte, Collegia
musica, in Radioübertragungen und auf Schallplatten, nicht zuletzt auch
durch die Jugendmusikbewegung und das Streben nach einer neuen
Hausmusikpflege sich gewaltig gemehrt haben, nicht mit annähernd so
lebhaften Mitempfindungen gegenüber wie damals z. B. dem angeschwärm-
ten Simone Martini und Botticelli. Diese Tatsache erklärt sich bestimmt
nicht allein durch die Seltenheit der Aufführungen, die große Schwierig-
keit, Unsicherheit, ja teilweise Unlösbarkeit der Aufführungspraxis.

Trotz alledem ist unverkennbar, daß wir uns einer starken Aktuali-
sierung des Gesamtbestandes vorbachischer Musik, soweit sie überhaupt
einigermaßen wiederherstellbar ist, wenigstens nähern: einer Aktuali-

Zeitschr. f. Ästhetik u. alle. Kunstwissenschaft XXXI. 14
 
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