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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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Herrmann, Helene: Faust und die Sorge
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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0341
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Faust und die Sorge

Von

Helene Herrmann

In seiner Basler Festrede auf Goethe1) erwägt Andreas Heusler auch
Goethes Verhältnis zum Tragischen. Er urteilt: „An einem Menschen
dieses Gleichgewichts scheitert jeder Versuch, ihn zur tragischen Gestalt
umzudeuten. Seine Dichterphantasie schwingt wohl auch ins Tragische
aus; aber die Achse seines Lebensgefühls bleibt die Versöhntheit mit
dem Menschenlos. Wie er selbst sagt: ,Sowie Ausgleichung möglich
wird, schwindet das Tragische'. Und Goethe glaubt an Ausgleichung".

Selbst diese Formulierung, die eine tragische Naturanlage Goethes
streng verneint, leugnet doch nicht zugleich einzelne Werke tragischer
Färbung, sowenig es eine andere Ansicht tut, die gerade Goethes Spätzeit
durch ein Schwinden tragischer Lebensempfindung charakterisiert sieht,
weil überwindende und damit ausgleichende Entsagung zutiefst ins Leben
des alten Goethe aufgenommen sei. Auch sie räumt ein, daß bis zuletzt
tragische Erschütterungen, gleich Erdstößen, die weisheitsvoll beruhigte
Seelenhaltung durchbrachen und daß dies Momente hoher Dichterkraft
gewesen sind.

Unsere Erörterung gibt einen solchen Blick ins Unerbittliche, ohne den
die Versöhntheit mit dem Menschenlos nicht wäre, was sie ist: Zuversicht-
gebende Kraft dessen, der — wenn auch nur auf Augenblicke — das ver-
nichtende Gesicht des Lebens ertragen hat, weil er vermochte, es groß
zu sehen.

Gleich neben dem Liede des Lynceus, der Essenz Goetheschen Lebens-
glücks, steht jene Szenenfolge, in der das zerstörende Element als uner-
läßlich empfunden und zum Mythos verdichtet ist: die Szenen, in denen
die Sorge erscheint, und was dem unmittelbar folgt.

Der allegorische Sinn der Sorge ist von ihren Deutern eingehend erör-
tert worden. Die Frage: Wer siegt? Faust oder die Sorge? steht ihnen
im Vordergrund. Uns ist vor allem die Erkenntnis wichtig: hat sich das
Unversöhnbare Goethe hier gestellt und in welcher Gestalt? Deshalb
dürfen wir uns nicht begnügen, den Gehalt der Szene gedanklich zu deu-

i) Schweizer Monatshefte, Elfter Jahrgang (1932), S. 596.

Zeitschr. f. Ästhetik u. alle. Kunstwissenschaft XXXI.

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