GRUNDLAGEN U. GESTALTUNG DES LESSINGSCHEN HUMORS 9
Stellung führte zum ernsten Charakter- und Problemspiel mit heiteren
Einschlägen. Es ist wichtig, zu sehen, daß Lessing, mehr auf Gehalt
drängend als die englischen Moralisten oder die französischen Lebens-
darsteller bis zu dem Diderotschen Naturalismus, dennoch diesen Weg,
zu dem ihm Vorbild und Talent nicht fehlte, nicht weiter verfolgt hat.
Seine Versuche zeigen ihn bewußt des entscheidenden Problems, ein
Spiel zu gestalten, das entweder durch das Tragische oder das Komische
seinen Sinn als Bühnenwerk erfüllt. Es zu lösen war eine Überwindung
des Zeitdramas und eine neue Gestaltungsebene nötig. Diese weitere
Bemühung um komische Gestaltung liegt aber nicht mehr in Lessings
freier Absicht, sondern ist ein Teil seines Schicksals.
Den jungen Dichter bewegen Bedürfnis und Ehrgeiz. Er kann sich
noch schmeicheln, nur durch Ausbildung seiner Fähigkeiten ein deut-
scher Moliere zu werden. An den Reifenden tritt die tiefere Notwendig-
keit heran, entweder in der Dichtung einen genugtuenderen Ausdruck
zu finden oder zu scheitern. Die hier ihn bedrängenden Fragen führen
zunächst weit von jeder lustspielhaften Gestaltung fort, zur Tragödie.
Lessing bricht seine breite und unbekümmerte Lustspielproduktion ab.
Sein zuvor noch spielendes Können schränkt sich nun auf sein inneres
Müssen ein. In diesem Gange durch das Tragische hindurch stößt er
erst zu der Seinschicht vor, aus der heraus eine umfassende Komödie
möglich ist. So setzt die Minna von Barnhelm den tragischen Lessing
voraus.
II3).
Lessings Verhältnis zum Tragischen entspringt nicht seinem äußeren
Schicksal, sondern wie für jeden großen Tragiker der ursprünglichsten
Art seiner Welterfahrung. Seine Wurzeln liegen offen in seinen vielfach,
doch in Bezug auf dieses entscheidende Problem noch unzureichend
interpretierten didaktischen Jugendgedichten4). In ihnen spricht Lessing
die ihn begründende Erfahrung, einen pessimistischen sittlichen Deter-
minismus aus. Der zu sich selbst kommende sittliche Wille findet den
sinnlichen Trieb schon ausgebildet und in Schuld verstrickt vor. So
•') Genauere Ausführungen hierüber in meinem Aufsatz, Lessing und das Tra-
gische, Preußische Jahrbücher 1934.
4) Es ist erstaunlich, daß den Jugendgedichten Lessings, die schon durch ihre
Titel: Die Religion, Über die menschliche Glückseligkeit ihr Gewicht anzeigen, nicht
die Grundstruktur Lessingschen Wesens entnommen worden ist, trotzdem der hier
ausgesprochene sittliche pessimistische Determinismus den Schlüssel zum eigensten
Lessing gibt. Wenn Lessing hier fragmentarisch abbricht, so nicht, weil er diese
Gedanken fallen läßt, sondern weil er im Gedanken keine Lösung und keine Erlösung
findet.
Stellung führte zum ernsten Charakter- und Problemspiel mit heiteren
Einschlägen. Es ist wichtig, zu sehen, daß Lessing, mehr auf Gehalt
drängend als die englischen Moralisten oder die französischen Lebens-
darsteller bis zu dem Diderotschen Naturalismus, dennoch diesen Weg,
zu dem ihm Vorbild und Talent nicht fehlte, nicht weiter verfolgt hat.
Seine Versuche zeigen ihn bewußt des entscheidenden Problems, ein
Spiel zu gestalten, das entweder durch das Tragische oder das Komische
seinen Sinn als Bühnenwerk erfüllt. Es zu lösen war eine Überwindung
des Zeitdramas und eine neue Gestaltungsebene nötig. Diese weitere
Bemühung um komische Gestaltung liegt aber nicht mehr in Lessings
freier Absicht, sondern ist ein Teil seines Schicksals.
Den jungen Dichter bewegen Bedürfnis und Ehrgeiz. Er kann sich
noch schmeicheln, nur durch Ausbildung seiner Fähigkeiten ein deut-
scher Moliere zu werden. An den Reifenden tritt die tiefere Notwendig-
keit heran, entweder in der Dichtung einen genugtuenderen Ausdruck
zu finden oder zu scheitern. Die hier ihn bedrängenden Fragen führen
zunächst weit von jeder lustspielhaften Gestaltung fort, zur Tragödie.
Lessing bricht seine breite und unbekümmerte Lustspielproduktion ab.
Sein zuvor noch spielendes Können schränkt sich nun auf sein inneres
Müssen ein. In diesem Gange durch das Tragische hindurch stößt er
erst zu der Seinschicht vor, aus der heraus eine umfassende Komödie
möglich ist. So setzt die Minna von Barnhelm den tragischen Lessing
voraus.
II3).
Lessings Verhältnis zum Tragischen entspringt nicht seinem äußeren
Schicksal, sondern wie für jeden großen Tragiker der ursprünglichsten
Art seiner Welterfahrung. Seine Wurzeln liegen offen in seinen vielfach,
doch in Bezug auf dieses entscheidende Problem noch unzureichend
interpretierten didaktischen Jugendgedichten4). In ihnen spricht Lessing
die ihn begründende Erfahrung, einen pessimistischen sittlichen Deter-
minismus aus. Der zu sich selbst kommende sittliche Wille findet den
sinnlichen Trieb schon ausgebildet und in Schuld verstrickt vor. So
•') Genauere Ausführungen hierüber in meinem Aufsatz, Lessing und das Tra-
gische, Preußische Jahrbücher 1934.
4) Es ist erstaunlich, daß den Jugendgedichten Lessings, die schon durch ihre
Titel: Die Religion, Über die menschliche Glückseligkeit ihr Gewicht anzeigen, nicht
die Grundstruktur Lessingschen Wesens entnommen worden ist, trotzdem der hier
ausgesprochene sittliche pessimistische Determinismus den Schlüssel zum eigensten
Lessing gibt. Wenn Lessing hier fragmentarisch abbricht, so nicht, weil er diese
Gedanken fallen läßt, sondern weil er im Gedanken keine Lösung und keine Erlösung
findet.