GRUNDLAGEN U. GESTALTUNG DES LESSINGSCHEN HUMORS 27
machen. Die Komik der Schranke auf der Seite Tellheims, leichtes, ge-
wandtes, kluges Spiel auf der Seite Minnas scheint das Spiel zu beherr-
schen bis zur endlichen Vernichtung des Vorurteils.
Doch ist Tellheims Lage entschieden tragisch. Teilheim war ein
tapferer, ehrenwerter, großmütiger Offizier. Er ist schimpflich entlassen
worden; seine Stellung, seine Ehre sind vernichtet. Er kann Minna nicht
an sein Schicksal knüpfen. Er kann sich nicht bekehren lassen; er wird
auch nicht bekehrt. Hiebe nicht am Ende des Stückes des Königs höhere
Gewalt den Knoten durch, indem er das an Tellheim begangene Un-
recht erkennt und den tief Gekränkten in seiner Ehre und äußerem Glück
wieder herstellt, so fände das Stück kein glückliches Ende.
Es ist. mithin nur der Blickpunkt des Dichters, der eine tragische
Situation komisch erscheinen läßt. Es soll in diesem Drama der volle
Ernst des Lebens gewahrt bleiben. So setzt Lessing wieder die Richtung
fort, die er von dem Jungen Gelehrten zum Freigeist und den Juden
eingeschlagen hat. Doch wird jetzt weder die Komik durch den Ernst
aufgehoben, noch der Ernst dadurch angetastet, daß wie im Jungen
Gelehrten letzthin doch nur eine menschliche Schwäche gegeißelt wird
oder wie im Freigeist oder den Juden die Komik sich auf Kosten des
menschlichen Gehalts entfaltet. Die humoristische Sicht hat diesen
Zwiespalt zum Verschwinden gebracht. In ihr gewinnt das Komische
eine Weite, daß es auch den Ernst umspannt. Daß nun Lessing eine so
ernste Verwicklung wie die Tellheims ohne Verlust des Gehalts komisch
erfassen kann, macht den weltanschaulichen Sinn seiner Komik offenbar.
Er stellt in ihr die Schranke schlechthin dar, die dem Menschen als
Menschen anhaftet; er hält den Menschen in seiner Endlichkeit fest.
Auch die derbere Komik des Stückes geht aus dieser hohen Gesamt-
schau hervor; dies scheidet sie von der niederen Komik in Lessings
Jugendlustspielen. War mithin der junge Lessing noch bemüht, seine
ernsteren Charaktere an der Komik der unteren Schichten teilnehmen
zu lassen, so leben jetzt die unteren Schichten von dem Geist, der von
der Höhe bis zur Tiefe sich verdichtet. Darum' reichen nun menschlicher
Gehalt und die individuelle Gestaltung bis in die unteren Schichten. Der
Wachtmeister, Werner, Franziska sind noch vollmenschliche Charaktere,
die doch schon die feine Komik der Oberschicht durch derbere und un-
gebundenere Sitte greifbarer wiederholen; auch der Just ist noch ein
Mensch. Von hier aus gesehen sind Figuren wie der Wirt, Riccaut de
la Marliniere nur die untersten, sinnlichsten, gleichsam für den vitalen
Boden sorgenden Verdichtungen eines komischen Geistes, der aus höhe-
rem Ursprung das ganze Stück vielschichtig und vieltönig durchdringt.
In ihnen rundet sich eine Darstellung zur Ganzheit, die nur auf die
oberen Schichten beschränkt in Gefahr wäre, als ein Gesellschaftsspiel
machen. Die Komik der Schranke auf der Seite Tellheims, leichtes, ge-
wandtes, kluges Spiel auf der Seite Minnas scheint das Spiel zu beherr-
schen bis zur endlichen Vernichtung des Vorurteils.
Doch ist Tellheims Lage entschieden tragisch. Teilheim war ein
tapferer, ehrenwerter, großmütiger Offizier. Er ist schimpflich entlassen
worden; seine Stellung, seine Ehre sind vernichtet. Er kann Minna nicht
an sein Schicksal knüpfen. Er kann sich nicht bekehren lassen; er wird
auch nicht bekehrt. Hiebe nicht am Ende des Stückes des Königs höhere
Gewalt den Knoten durch, indem er das an Tellheim begangene Un-
recht erkennt und den tief Gekränkten in seiner Ehre und äußerem Glück
wieder herstellt, so fände das Stück kein glückliches Ende.
Es ist. mithin nur der Blickpunkt des Dichters, der eine tragische
Situation komisch erscheinen läßt. Es soll in diesem Drama der volle
Ernst des Lebens gewahrt bleiben. So setzt Lessing wieder die Richtung
fort, die er von dem Jungen Gelehrten zum Freigeist und den Juden
eingeschlagen hat. Doch wird jetzt weder die Komik durch den Ernst
aufgehoben, noch der Ernst dadurch angetastet, daß wie im Jungen
Gelehrten letzthin doch nur eine menschliche Schwäche gegeißelt wird
oder wie im Freigeist oder den Juden die Komik sich auf Kosten des
menschlichen Gehalts entfaltet. Die humoristische Sicht hat diesen
Zwiespalt zum Verschwinden gebracht. In ihr gewinnt das Komische
eine Weite, daß es auch den Ernst umspannt. Daß nun Lessing eine so
ernste Verwicklung wie die Tellheims ohne Verlust des Gehalts komisch
erfassen kann, macht den weltanschaulichen Sinn seiner Komik offenbar.
Er stellt in ihr die Schranke schlechthin dar, die dem Menschen als
Menschen anhaftet; er hält den Menschen in seiner Endlichkeit fest.
Auch die derbere Komik des Stückes geht aus dieser hohen Gesamt-
schau hervor; dies scheidet sie von der niederen Komik in Lessings
Jugendlustspielen. War mithin der junge Lessing noch bemüht, seine
ernsteren Charaktere an der Komik der unteren Schichten teilnehmen
zu lassen, so leben jetzt die unteren Schichten von dem Geist, der von
der Höhe bis zur Tiefe sich verdichtet. Darum' reichen nun menschlicher
Gehalt und die individuelle Gestaltung bis in die unteren Schichten. Der
Wachtmeister, Werner, Franziska sind noch vollmenschliche Charaktere,
die doch schon die feine Komik der Oberschicht durch derbere und un-
gebundenere Sitte greifbarer wiederholen; auch der Just ist noch ein
Mensch. Von hier aus gesehen sind Figuren wie der Wirt, Riccaut de
la Marliniere nur die untersten, sinnlichsten, gleichsam für den vitalen
Boden sorgenden Verdichtungen eines komischen Geistes, der aus höhe-
rem Ursprung das ganze Stück vielschichtig und vieltönig durchdringt.
In ihnen rundet sich eine Darstellung zur Ganzheit, die nur auf die
oberen Schichten beschränkt in Gefahr wäre, als ein Gesellschaftsspiel