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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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Mann, Otto: Grundlagen und Gestaltung des Lessingschen Humors
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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0045
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GRUNDLAGEN U. GESTALTUNG DES LESSINGSCHEN HUMORS 31

dem geistigen und literarischen Reformator, dem Lessing der Geistes-
freiheit und der Toleranz, verborgen geblieben. Entscheidende Verken-
nungen waren die Folge. Gewiß kämpft Lessing gegen die Vorherrschaft
des französischen Dramas als Deutscher gegen den Franzosen; aber
nicht diese Tatsache, sondern der ihn treibende Glaube ist uns wesentlich.
Aussagen, daß hier Genie gegen Regel, urtümliche Tragik gegen gesell-
schaftliches Pathos, Natur gegen Kunst stehe, sind Vordergrundsbestim-
mungen gegenüber der tiefen und eigendeutschen Tatsache, daß Lessing
kämpft um die Rückbindung des säkularisierten Menschen an Gott. Seine
Reformation ist nicht Fortschritt zur Aufklärung, sondern Freiheit des
Menschen zu Gott; auf diesem Wege entstehen ihm seine Dramen; weil
er so in ihnen sucht, muß er das französische Drama bekämpfen. Dieser,
der tragische, humoristische, religiöse Lessing muß heute entscheidend
herausgehoben werden. Sonst sind wir in Gefahr, einen unsrer größten
und unsrer am tiefsten deutschen Männer verlorengehen zu lassen durch
Vordergrundsmeinungen und Schlagworte, anstatt festzuhalten und zu
nutzen, was Lessing in seiner schon aufklärerisch bedrohten Zeit war:
Träger, Wahrer, Gestalter von deutschem Weltgefühl und deutscher
Weltanschauung.
 
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