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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0096
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BESPRECHUNGEN

Hamburg im wesentlichen die ausgezeichnete Neugestaltung der Innenstadt nach dem
Brande von 1842. An den Hamburger Plänen war auch Gottfried Semper beteiligt,
dessen — bereits von Schinkel erkannte — geniale Begabung als Architekt und Städte-
bauer Schumacher meisterhaft schildert. Nicht das äußere Gewand seiner Bauten
—• italienische Renaissance —, sondern die Kraft der Gesamtgestalt und die Ver-
teilung der Massen ist das Entscheidende an Sempers Werken. Sein tiefes Verständnis
für zwei wesentliche Elemente der Architektur: Funktion und Konstruktion macht ihn
zum Vorläufer der jüngsten architektonischen Bewegung. Im übrigen ist freilich diese
Periode gekennzeichnet durch das weitgehende Versagen in städtebaulicher Beziehung,
das sich am katastrophalsten in Berlin ausgewirkt hat, das sich allmählich zur „größ-
ten und ärgsten Mietskasernenstadt der Welt" entwickelte. Das Kritische der Lage
wird um 1870 offenbar; als damals die „beispiellose Bautätigkeit in Deutschland ein-
setzte, fand sie unter dem Begriff Architektur nicht mehr etwas Einheitliches vor: die
ästhetische, die soziologische und die praktische Seite des Bauens klafften ausein-
ander". Bei dem unheimlichen Anwachsen der Großstädte in den letzten Jahrzehnten
des 19. Jahrhunderts wird über zahlreichen anderen Aufgaben die wichtigste voll-
ständig vernachlässigt: die Gestaltung des Massenwohnbaus. Dafür entfaltet sich auf
dem Gebiet des repräsentativen Monumentalbaus ein Prunkstil von — wie Schumacher
sehr richtig betont — durchaus internationalem Gepräge. Dennoch verwahrt sich der
Verfasser gegen die allzu bequeme vollständige Verurteilung der Baukunst dieses Zeit-
raumes als charakterlos und unschöpferisch. Inmitten eines oberflächlichen oder wissen-
schaftlich-trockenen Eklektizismus erheben sich die Bauten eines Martin Gropius,in dem
noch etwas vom Geiste Schinkels lebendig ist, oder einer „wahrhaft dionysischen Be-
gabung" wie Friedrich Thiersch. Der entscheidende Umschwung setzt mit dem Wert-
heimbau Messels ein, der hier als erster für die neuen Möglichkeiten des Eisenbeton-
baus die entsprechende Gestaltungsform fand. Dagegen stand man noch um die Jahr-
hundertwende den neuen, riesenhaften Anforderungen des Städtebaus in der Haupt-
sache hilflos gegenüber, was in der überwiegenden Planlosigkeit der Städteerweiterun-
gen deutlich zum Ausdruck kommt: „die Bahnhofstraße wird das traurige Symbol
dieses unorganischen Vorgangs".

Erst um 1900 setzt die energische Abkehr vom Eklektizismus ein; das „freie Ge-
fühl des Schaffenden" empört sich wider „das unfruchtbar gewordene Verstandes-
reich der historischen Bildung". Die Keimzelle des neuen Werdens bildet das Orna-
ment, das Kunstgewerbe. Der „Jugendstil", dessen entwicklungsgeschichtliche Be-
deutung neuerdings auch von kunsthistorischer Seite (Schmalenbach, Michalski u. a.)
klar erkannt worden ist, sucht zunächst in der Gestaltung von Gerät und Innenraum
den Stilkarneval des Fin de siecle erfolgreich zu überwinden. War auch der Weg —
vom Ornament zum Bauwerk statt umgekehrt — noch nicht der richtige, so war doch
die Bahn frei für die gesunde Entwicklung zum Deutschen Werkbund und damit zu
einer schöpferischen Erneuerung der Architektur und des Kunsthandwerks. Aus-
gezeichnet ist hier die aufsteigende Entwicklung vor dem Kriege dargestellt, an der
Schumacher ja selbst hervorragenden Anteil genommen hat. Die Licht- und Schatten-
seiten im Schaffen des großen Anregers van de Velde werden sorgsam abgewogen,
die bahnbrechende Leistung Berlages und Otto Wagners wird gebührend gewürdigt,
und die neuen organisatorischen Kräfte werden ebenso eingehend beschrieben wie
die maßgebenden Einflüsse neuer Techniken und Werkstoffe (Eisen, Eisenbeton, Glas,
Skelettbau), neuer Aufgaben und eines neuen ästhetischen Wertgefühls. Mit dem
gleichen überlegenen Urteil ist auch die vielfältige Entwicklung der deutschen Archi-
tektur nach dem Kriege geschildert. Allerdings: daß es sich hier — trotz vieler Über-
treibungen und verfehlter Experimente — um eine große Bewegung handelt, die mit
 
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