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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0098
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BESPRECHUNGEN

lieh nicht die nächste Ursache der Nachahmung des griechischen Altertums bei er-
wähnten beiden Künstlern; aber es lag in ihr der entferntere Grund hiezu. Die all-
gemeine Kenntnis der Griechen lehrte denken wie sie ... Die Gelehrten dieser Zeit
hatten ein großes und noch näheres Anteil an der Größe, zu welcher Raphael und
Michelangelo gelangt sind." Die umfassende Vorstellung vom Griechentum, innerhalb
deren das Plastisch-Körperliche nur ein Teilgebiet inne hat, kann nicht eindringlicher
ausgesprochen werden als in diesen Sätzen aus Winckelmanns „Reiferen Gedanken
über die Nachahmung der Alten in der Zeichnung und Bildhauerkunst". (Zitiert auf
S. 8.) Oder um nicht sowohl vom Makro- als vom Mikrokosmos auszugehen, sei aus

den Homerausschreibungen der folgende Vers vergegenwärtigt,--„avzodldaxzog

ö'eißL, i)sög de ßoi iv (pgealv of/xae navzotaq iveqivaev" — — (S. 18); so scheinen
Selbst- und Weltbewußtsein in Eines zu fließen: „Fast in allem bin ich mein eigener
Führer gewesen".

Jede einzelne Äußerung Winckelmanns scheint etwas von diesem Weltgehalt zu
bewahren; man kann, wie K. es tut, vom Worte seinen Ausgang nehmen und wird
immer wieder in die großen Zusammenhänge geführt werden. Nun ist aber, und auch
dies wird aus K.s Untersuchung deutlich, dies Divinatorische in Winckelmanns We-
sen keineswegs Grund zur Einsamkeit (vgl. Dilthey: „Fremdartig steht diese An-
schauung in seiner Zeit wie Winckelmanns ganze Erscheinung"). Denn wenn K. in
einem knappen Vorwort die Absicht zum Ausdruck bringt, durch „Betrachtung der
Führung und Formung, die Winckelmann durch den Dichter Homer erfahren hat,
einen Beitrag zum Verständnis der echten und ewigen deutschen Klassik zu geben",
so ist damit Winckelmann eben in den ihm gemäßen Umkreis gestellt. Und mit dem
Begriffe Klassik ist hier in sehr glücklicher Weise ein über die Jahre von Weimar
weit zurückgreifender Zeitraum erfaßt. K. gibt nun keineswegs eine Zustandsschil-
derung, indem er etwa zunächst einen Querschnitt durch die Homerauffassungen des
achtzehnten Jahrhunderts legt, sondern Deutung, „Einzelauslegung", wie er selbst
es nennt (S. 19); die Überschriften der beiden Hauptteile seiner Untersuchung „Homer
in Winckelmanns Leben", „Homer in Winckelmanns Werk", zeigen an, daß hier ver-
sucht wird, die Ergebnisse aus dem Innern des Gegenstandes heraus zu entfalten.

Die in Hamburg befindlichen Homerausschreibungen Winckelmanns dürften
wohl den eigentlichen Ausgangspunkt der Untersuchung gebildet haben. Ihre Datie-
rung aus der Seehausener Zeit stützt sich nur auf das Zeugnis Gurlitts; andere
philologische Kriterien sind ja auch, wenn man etwa von Winckelmanns Handschrift
absieht, schwerlich aufzufinden, da es sich um Auszüge handelt. Über die Handschrift
bemerkt K.: „W. schrieb sehr fein und säuberlich auf besonders kostbarem gerill-
tem Papier, ähnlich manchen Sorten des heutigen Büttenpapiers." Nimmt man dazu
die Tatsache, deren K. an anderen Stellen gedenkt, daß Winckelmann selbst Ge-
dichte in lateinischen Distichen verfaßt hat, so wird deutlich, wie das gestaltete Wort
nicht minder als die plastische Gestalt für ihn zum Gegenstand der Andacht wird.
Hamanns Äußerung: „Alle Anmerkungen des Winckelmann über die Malerei und
Bildhauerkunst treffen auf das Haar ein, wenn sie auf Poesie und andere Künste
angewendet werden" (S. 67), könnte hier ihre erste biographische Bestätigung finden.
Denn diese Homerausschreibungen sind zugleich ein „Lebensbuch" (so Kraus, S. 19);
Winckelmann will sich „formieren", und so schreibt er denn Homerverse nieder, die
ihn in eigenem Vorsatz bestärken, oder auch solche, die eigene Not in symbolhafter
Verdichtung zum Ausdruck bringen (im Sinne jener Goetheschen Erlösung: „Und
wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, Gab mir ein Gott, zu sagen, was ich
leide"). Es ist die Not des Irrenden, Gejagten, Heimatlosen, der auch Lessing aus-
geliefert war, deren Vorhandensein an den Wurzeln der apollinischen Klassik in
 
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