Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0102
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
88

BESPRECHUNGEN

Glaubenstiefe erlebt worden ist. Die immer vorhandene Sehnsucht dieses Geistes,
glauben und die Gegenstände des Glaubens hymnisch preisen zu dürfen, streift nach
dem Abfall vom positiven Christentum zunächst ein Reich abstrakter Ideale, verzehrt
sich aber dabei in dem Drang zum Mythos, der durch einen solchen Idealismus nicht
befriedigt werden kann. Die Erlösung vollzieht sich in der Hinwendung zur Natur,
im Erlebnis der Immanenz der eigenen Seelenzustände im Naturganzen und in der
Erkenntnis, daß im Griechentum die ideale Einheit von Ich und Natur als Vorbild
erschien. Mit der endgültigen Gestalt des Hyperion ist der eigentliche und bleibende
Sinn der Hölderlinschen Dichtung erreicht. Hier gewinnen die in die Allheit der Na-
tur hineingewobenen und zugleich ichbezogenen, schicksalshaften Mächte und Kräfte
durch die Benennung vom griechischen Polytheismus her das für die Setzung und
das Erlebnis ihrer mythischen Realität außerordentlich bedeutungsvolle Moment der
Ansprechbarkeit, hier werden sie in konkretestem Sinne zu Göttern. Ebendiese Wen-
dung von dem früheren bloß metaphorischen Nennen jener Namen zur eigentlich
metaphysischen Hypostasierung ihrer Träger zeigen die Gedichte aus den Jahren
1795—1799. Vater Äther, Mutter Erde, der Sonnen- und Meergott, aber auch der
„Geist der Ruhe und Unruhe im Geschichtsbereich" — das sind die Wirklichkeiten,
zu deren Feier sich die Stimme des Dichters erhebt. Es folgen, immer in gleichem
Sinne, die Odenstrophen. Der Empedokles — wahrhaft schwingend und doch vor-
sichtig wird die Dynamik, die von der einen seiner Fassungen zu den anderen treibt,
aufgewiesen — zeigt von jenem gesicherten Glauben her die Möglichkeit der Über-
windung des Todes und die Lösung des Schicksalsproblems überhaupt.

Den späten Gedichten in Odenstrophen folgend kommen wir mit Hölderlin immer
stärker in den mythischen Raum in der Vergottung subjektiver Erlebnismomente wie
der Mächte des Schicksals — auch die vaterländischen Gedichte sind hierher zu
zählen —, bis schließlich in den großen mythisch-hymnischen Gedichten der Spätzeit
der feiernde Dank und das leidenschaftliche Preisen den Göttern gegenüber sich in
großartigem und prophetischem Frohlocken ausspricht. Es ist ein Frohlocken, das
nicht der vergangenen Idealwelt griechischen Naturerlebens allein gilt, sondern auch
der Überzeugung vom unmittelbaren Gegenwärtigsein der in jener, dieser und aller
Zeit zu erlebenden Götter. Diese Präsenz wird schließlich vielleicht am tiefsten ge-
fühlt in der Verwebung des Heimatserlebnisses mit dem Mythos.

Der wesentliche und starke Eindruck des Böckmannschen Buches ist darauf
zurückzuführen, daß bei allen Interpretationen, die es enthält, aus dem betrachteten
Werk ein Maximum einheitlicher Gedankengebung hervorgeschält wird gegenüber
einem Minimum von Vergewaltigung des Textes. Vielleicht ist das Wesensgefüge des
Menschen Hölderlin selten als so wenig diffus gesehen worden. Als einen lückenlosen,
gleichmäßig geschwungenen Regenbogen läßt Böckmann das Gesamtwerk des Dich-
ters dastehen und führt von der einen Schrift in die andre hinüber mit der fließenden
Selbstverständlichkeit, mit der die Farben des Spektrums zusammenhängen. Und die
innere Logik dieses Gleitens kann immer wieder in der Anknüpfung an die Dichter-
worte ihr Vorhandensein erweisen. Ob es sich um Inhalts- oder Formenanalyse han-
delt, ob die Abgeschlossenheit von Werken ersichtlich gemacht wird, deren Gerundet-
heit man bisher nicht anerkennen wollte (Empedokles) oder ob in die Darstellung
die — sehr schwierige — Deutung kunsttheoretischer Ausführungen Hölderlins ein-
gebaut wird, es bleibt dem Leser das Erlebnis einer Zusammenschau, in der die Kraft
der Gedankenführung mit der Treue des Wortverfolgens in glücklichster Weise zu-
sammenwirken.

Berlin. Katharina Kanthack-Heufelder.
 
Annotationen