Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

DOI Artikel:
Klopfer, Paul: Bauwerk als Bildwerk: Versuch einer Parallelsetzung von Baukunst und Bildnerei
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0121
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BAUWERK ALS BILDWERK

105

brand zurück, wo dieser von der „vorderen durchbrochenen Raumschicht"
beim romanischen Bauwerk spricht. In der Tat handelt es sich hier, im
Gegensatz zum plastischen Vorgehen, um die Voraussetzung einer vor-
deren Schicht, in die die Form als Negativ hineingeschnitten zu denken
ist. Die ganze romanische und gotische Architektur bis zurück auf die
Quellen stereotomen Bauschaffens im Orient stellt sich unter dem hier
geschaffenen Gesichtswinkel des Bildnerischen in ausgesprochenen Gegen-
satz zur Plastik des tektonischen Bauwerks. Dieses zeigt den Apparat von
Säulen und Gebälk als ein vorgesetztes Relief, jene hingegen wirkt durch
Vertiefen und Hineinschneiden in die vorhandene Baumasse. In dem einen
Falle bildet die Wand den Hintergrund im engeren Sinne, im andern
haben wir es mit einer vorderen Raumschicht zu tun, welche als
„Rest" empfunden wird, sei es auch, daß dieser Rest nur als ein beschei-
dener Streifen vor der hinterfangenden Mauer steht. In diesem Sinne
sprechen wir von der „Lisene" im Gegensatz zum Pilaster, welcher, der
Säule verwandt, rein tektonischer Herkunft ist17).

Aus dem Begriff des Wegschneidens erklärt es sich auch, daß in den
mittelalterlichen Baustilen die Zweizahl der Öffnungen herrscht,
und nicht die Dreizahl. „Wie bei der Giebelseite des griechischen Tempels
in der Mittelachse ein Säulenzwischenraum, und wie bei der Flächen-
gliederung der römischen Wand ein Pfeiler- (richtiger Pilaster-) Zwischen-
raum ... belassen wird, so wird bei der Gliederung des romanischen Bau-
körpers in der Mittelachse ein Teil der vorhandenen Massenoberfläche als
Zwischenraum der gliedernden Einschnitte belassen1")."

Im Gegensatz zum tektonischen Körperbau geht die stereotome Archi-
tektur bei der Formung ihrer Werke vom Innern aus. Dieses bestimmt
erst das Äußere. Die Feststellung, die wir für die plastische Wand im
Innern wie am Äußern des tektonischen Bauwerks gemacht haben, gilt hier
also nicht; innen und außen sind ganz zweierlei. Es ist Gottfried Sempers
wohl mehr von der Stimmung als von der Kritik diktierter Irrtum, an-
zunehmen, daß im gotischen Räume „jedes unbefangene Auge sich durch
die Abwesenheit der Gegenstreben . . . geängstigt fühlen muß"1"). Im
Gegenteil! Nur das „befangene Auge", das Auge nämlich, welches von
einer statisch unterrichtenden Überlegung gelenkt wird, wird hier einen
Fehler feststellen können; ja sogar das Relief der Wandpfeiler und Dienste,
die bis ins Schöngotische nach Säulenart mit Basen und Kapitellen ver-

17) So verstanden übernimmt der Pilaster von der Säule die Entasis, die Basis
und das Kapitell, die sämtlich der Lisene fehlen. Diese wieder sucht, dem stereotomen
Pfeiler verwandt, ihren Anschluß gern oben im Rundbogenfries, man vergleiche die
lombardische und die daraus folgende romanische Architektur.

18) Hermann Eicken, Der Baustil, S. 50 f. Berlin 1918.
,n) G. Semper, a.a.O., 4. Hauptstück, § 83.
 
Annotationen