DER GEGENSATZ ALS MITTEL DES AUFBAUS IM LYR. GEDICHT 171
Unterschiede feststellen. Nach meinem Gesamteindruck bleibt das Volks-
lied und das intellektfeindliche Gedicht der nationalen Erhebung unter
dem Durchschnitt, übersteigt die Aufklärung den Durchschnitt.
In der Durchführung, vor allem in der Verwendung der Typen wür-
den sich erst recht Unterschiede ergeben. Zu den Typen 4—6, den
weniger ausgeprägten, habe ich keine eingehenden Feststellungen ge-
macht. Nur eines hei mir auf: Das Barock ist in der Durchführung des
Gegensatzes oft lässig und ungenau und gibt sich mit den Typen 5 und 6
und geringerer Zahl von Gegensätzen zufrieden. Typ 4 a liegt dem Barock
und der Aufklärung (Pointe). Wenn aber ein Dichter zur Gleichführung
neigt oder durch Verwendung der Typen 1—3 und durch Zahl und
Schärfe der Gegensätze nach Ebenmaß und Kongruenz strebt, das drängt
sich dem Leser auf; und dabei will ich deshalb eine kurze Zeit verweilen.
Gleichführung taucht zuerst im Sinnspruch und Epigramm auf;
von hier ist die Entwicklung ausgegangen; es handelt sich da um Kurz-
formen, oft nur um Zweizeiler, deren Gleichführung nicht schwer ist, sich
fast von selbst ergibt. Schärfe des Ausdrucks, der Formulierung gehört
sozusagen zu den Grundbedingungen dieser Unterart. Gleichführung
kann also geradezu als die ideale Form des Epigramms angesehen wer-
den. Sie findet sich meines Wissens zuerst bei Opitz: „Grabschrift eines
Hundes":
Die Diebe lief ich an, / Den Buhlen schwieg ich stille, / So ward vollbracht
des Herrn / Und auch der Frauen Wille. //
Bei Logau, Scheffler (in Sinnsprüchen), bei Kästner ist Gleich-
führung in Epigrammen gang und gäbe, scheint hingegen dem mehr
volkstümlichen Satiriker Grob zu fehlen. Auch in den Epigrammen Les-
sings (der hier die Spitze vorzieht) ist sie nicht so häufig, wie man auf
Grund der „Lieder" (s. u.) vermuten möchte. Bei Goethe und Schiller ist
in der distichischen Kleinkunst Gleichführung ungemein beliebt: Goethe,
„Die neue Sirene", „Sakontala", Venediger Epigramme 16,25; Schiller
„Das Kind in der Wiege", „Freund und Feind", „Zweierlei Wirkungs-
arten", „Die Übereinstimmung". Bei Goethe fehlt sie auch in der ge-
reimten Kleinkunst nicht: „Demut"; im „Diwan": „Das Meer flutet
immer", „Noch ist es Tag".
Vom Epigramm geht die Gleichführung über auf das gefühls-
mäßige oder wenigstens mit Gefühlen sich beschäftigende Gedicht.
Ein frühes Beispiel stammt von Besser: „Gespräch der sterbenden Cli-
mene und ihres sie beklagenden Lisis" („Schriften" 1732, S. 586):
Climene starb und sprach im Scheiden: / „Nun, Lisis, nun verlaß ich dich; /Ich
stürbe willig und mit Freuden, / Liebt eine dich so sehr als ich." / „Ach", sprach er,
„mag dich das betrüben? / Climene, nur dein Tod ist schwer; / Kannst du mich selbst
nicht länger lieben, / Bedarf ich keiner Liebe mehr." /
Unterschiede feststellen. Nach meinem Gesamteindruck bleibt das Volks-
lied und das intellektfeindliche Gedicht der nationalen Erhebung unter
dem Durchschnitt, übersteigt die Aufklärung den Durchschnitt.
In der Durchführung, vor allem in der Verwendung der Typen wür-
den sich erst recht Unterschiede ergeben. Zu den Typen 4—6, den
weniger ausgeprägten, habe ich keine eingehenden Feststellungen ge-
macht. Nur eines hei mir auf: Das Barock ist in der Durchführung des
Gegensatzes oft lässig und ungenau und gibt sich mit den Typen 5 und 6
und geringerer Zahl von Gegensätzen zufrieden. Typ 4 a liegt dem Barock
und der Aufklärung (Pointe). Wenn aber ein Dichter zur Gleichführung
neigt oder durch Verwendung der Typen 1—3 und durch Zahl und
Schärfe der Gegensätze nach Ebenmaß und Kongruenz strebt, das drängt
sich dem Leser auf; und dabei will ich deshalb eine kurze Zeit verweilen.
Gleichführung taucht zuerst im Sinnspruch und Epigramm auf;
von hier ist die Entwicklung ausgegangen; es handelt sich da um Kurz-
formen, oft nur um Zweizeiler, deren Gleichführung nicht schwer ist, sich
fast von selbst ergibt. Schärfe des Ausdrucks, der Formulierung gehört
sozusagen zu den Grundbedingungen dieser Unterart. Gleichführung
kann also geradezu als die ideale Form des Epigramms angesehen wer-
den. Sie findet sich meines Wissens zuerst bei Opitz: „Grabschrift eines
Hundes":
Die Diebe lief ich an, / Den Buhlen schwieg ich stille, / So ward vollbracht
des Herrn / Und auch der Frauen Wille. //
Bei Logau, Scheffler (in Sinnsprüchen), bei Kästner ist Gleich-
führung in Epigrammen gang und gäbe, scheint hingegen dem mehr
volkstümlichen Satiriker Grob zu fehlen. Auch in den Epigrammen Les-
sings (der hier die Spitze vorzieht) ist sie nicht so häufig, wie man auf
Grund der „Lieder" (s. u.) vermuten möchte. Bei Goethe und Schiller ist
in der distichischen Kleinkunst Gleichführung ungemein beliebt: Goethe,
„Die neue Sirene", „Sakontala", Venediger Epigramme 16,25; Schiller
„Das Kind in der Wiege", „Freund und Feind", „Zweierlei Wirkungs-
arten", „Die Übereinstimmung". Bei Goethe fehlt sie auch in der ge-
reimten Kleinkunst nicht: „Demut"; im „Diwan": „Das Meer flutet
immer", „Noch ist es Tag".
Vom Epigramm geht die Gleichführung über auf das gefühls-
mäßige oder wenigstens mit Gefühlen sich beschäftigende Gedicht.
Ein frühes Beispiel stammt von Besser: „Gespräch der sterbenden Cli-
mene und ihres sie beklagenden Lisis" („Schriften" 1732, S. 586):
Climene starb und sprach im Scheiden: / „Nun, Lisis, nun verlaß ich dich; /Ich
stürbe willig und mit Freuden, / Liebt eine dich so sehr als ich." / „Ach", sprach er,
„mag dich das betrüben? / Climene, nur dein Tod ist schwer; / Kannst du mich selbst
nicht länger lieben, / Bedarf ich keiner Liebe mehr." /