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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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Kainz, Friedrich: Giovanni Gentiles Kunstphilosophie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0195
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BEMERKUNGEN

179

die Brüche und Mängel seiner Konzeption des Intuitions- und Kontemplations-
begriffs ins Licht. Das alles geschieht mit einer Schärfe und Folgerichtigkeit des
Denkens, die nicht leicht ihresgleichen finden wird. Selbstverständlich ist uns das
vorliegende Buch nicht nur mit seinem kritisch-negativen Teil wichtig. Vielmehr
bringt es in den positiven Abschnitten so viel Eigenartiges und Neugesehenes, daß
es auch derjenige mit Anteil und Gewinn lesen wird, der den philosophischen Aus-
gangspunkt des Verfassers nicht teilt oder gewissen äußersten Folgerungen des
hier eingenommenen Denkstandpunkts nicht zustimmen kann.

Über die philosophische Einstellung und die wissenschaftliche Persönlichkeit
dieses offiziellen Denkers des modernen Italiens braucht den deutschen Lesern wohl
nur wenig in Erinnerung gerufen zu werden. Als Logiker, Erkenntnistheoretiker
und philosophischer Pädagogiker ist Gentile ja weiten Kreisen bekannt, nur als
Ästhetiker war er es nicht und konnte es nicht sein, denn er ist bis zu dem vor-
liegenden Werk nicht mit größeren Arbeiten dieses Themenbereichs hervorgetreten.
Wie seine kunsttheoretischen Gedankengänge im Mutterboden seines gesamten
Philosophierens verwurzelt und organisch aus ihm hervorgegangen sind, zeigt
dieses Buch selbst an vielen Stellen, in denen der Verfasser auf frühere Werke
Bezug nimmt.

Unsere Besprechung beginne mit einer Vorbemerkung zum Titel, die indes mit
einem Schritt in die Gesamtanlage des Werks hineinführt. Der Ausdruck „Philo-
sophie der Kunst" wird im deutschen Schrifttum nicht selten als Synonym für die
Bezeichnung „Allgemeine Kunstwissenschaft" gebraucht, was freilich nicht ganz im
Sinn der Schöpfer dieses Begriffs liegt, die darunter eine objektivistische Theorie
systematisch-vergleichender Art des gesamten empirischen Materials der Erfahrungs-
tatsache „Kunst" verstanden wissen wollten. Hier handelt es sich um etwas ganz
anderes. Der Nachdruck, aller Nachdruck liegt auf dem Wort „Philosophie"; em-
pirischer Betrachtungsweise wird mit jener Verachtung des souveränen spekulativen
Denkers begegnet, wie wir sie so gut aus dem Kreis kennen, in dessen Mittelpunkt
Hegel, an dessen Peripherie E. v. Hartmann steht und wie sie sich heute wieder
zu Wort meldet. Kunstpsychologische und -soziologische sowie objektiv-kunst-
systematische Gedankengänge finden sich nur als Ausgangspunkte für jene Art
dialektisch-spekulativer Denkbemühungen, die man — der Verfasser gebraucht
diesen Ausdruck nicht — im Sinn der Schellingschen Kunstphilosophie als „Kon-
struktion der Kunst" bezeichnen könnte. Wollte man eine Kurzformel für das vor-
liegende Werk finden, so könnte man es eine metaphysische Ontologie der Kunst
nennen, die Ort und Stellenwert der Kunst als geistig-kultureller Funktion im
Gesamtraum menschlicher Geistigkeit zu bestimmen unternimmt. Diese Kunst-
philosophie steht nicht als abgesondertes Arbeitsgebiet, als genau umgrenzter
Themenbereich neben den metaphysischen, erkenntnistheoretischen und sonstigen
philosophischen Schriften des Verfassers, sondern ist aufs engste mit ihnen ver-
bunden, ein unablösbarer Bestandteil einer in sich einheitlichen philosophischen
Konfession. Es gibt Gelehrte — namentlich der akademische Betrieb züchtet diesen
Spezialistentypus —, welche die einzelwissenschaftliche Denkweise und die von ihr
hervorgebrachten stoffbedingten Scheidungen auch auf das Gebiet der Philosophie
übertragen und die einzelnen philosophischen Disziplinen als wohlummauerte Teil-
gebiete betrachten, von denen aus man keinen Ausblick auf die anderen zu haben
braucht und vermag. Der Logistiker etwa weiß wenig von der Ästhetik und be-
trachtet das noch als „vorteiligen Mangel". Gentile dagegen gehört zu den echten
Philosophen, die mit starkem Sinn für das Ganze der Philosophie begabt, tem-
peramentvoll für ihre Einheit kämpfen, aus der Oberzeugung heraus, in jedem ihrer
Teilprobleme spiegle und wiederhole sich die gesamte Philosophie. Tatsächlich ist
 
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