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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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Kainz, Friedrich: Giovanni Gentiles Kunstphilosophie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0197
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BEMERKUNGEN

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die Außenwelt hinweist, gibt es keine Erfahrung, sondern nur eine einfache Kon-
struktion a priori. Für uns ist jede Unterscheidung zwischen Außen und Innen,
zwischen Aktivität und Passivität des Geistes hinfällig. Der Geist ist reine Aktivität
und er empfängt nichts von außen. Wie die Leibnizsche Monade hat er keine Fen-
ster. Wenn man nun aber auch sagen könnte, diese Monade bedürfe wenigstens
eines Lichtschimmers, um außerhalb ihrer selbst die Monade der Monaden zu
sehen ..., so hat unsere Monade an einem solchen Ausblick keinen Bedarf, weil sich
nichts denken läßt, was nicht in ihr selbst ist, da sie aufgehört hat, endlich zu
sein. So ist unsere Erfahrung nicht mehr Verhältnis zur Außenwelt, sondern zu
sich selbst. Um die Erfahrung zu ermöglichen, ist in unserm Innern nicht ein
aktives und ein passives Moment gegeben; denn eben das Objekt oder der Inhalt
des Erkennens ist der lebendige Beweis der schöpferischen Kraft des Subjekts, die
das Subjekt setzt, indem es zugleich das Objekt setzt, und dieses wird gleichzeitig
mit dem ihm entsprechenden Subjekt im ganz lebendigen Akt des Denkens geboren.
Dieser kann und muß Erfahrung genannt werden, insofern der Geist in seinem
Denken sich selbst erfährt (experitur), sich verwirklicht und seine Kraft erweist,
die nicht willkürliche Annahme sein kann, sondern Wirklichkeit werden muß. Der
Prüfstein für die so verstandene Erfahrung wird nicht mehr das Gegebene sein:
er liegt nicht in dem Wirklichen, das der Erfahrung unterliegt, sondern in ihr
selbst, in ihrer Ganzheit."

Es ist die Haltung der über Kant hinausgehenden spekulativen Philosophie des
deutschen Idealismus, in deren Geist hier die Konstruktion der Kunst vorgenom-
men wird. Hegel ist der eigentliche geistige Ahn dieser Kunstphilosophie; von ihm
stammt auch die hier verwendete Denktechnik. Aber sowohl Hegels Gedankengut
wie seine Denkmethode werden hier einer kennzeichnenden Um- und Weiterbildung
unterworfen, über deren Grundsätze Gentiles Schrift „La riforma della dialettica
hegeliana" Rechenschaft ablegt. Mehrere Grundgedanken der Hegeischen Philo-
sophie werden hier auf höherer spekulativer Ebene korrigiert, wofür wenigstens
e i n Beispiel gegeben werden soll. Für Hegel ist die Kunst die sinnliche Gestalt
der Idee. Damit geht er nach Gentiles Meinung auf eine Bestimmung Vicos zurück
(der Einfluß dieses Italieners auf Hegel wird hier sicher überschätzt), weil die Idee
für ihn nicht ein Begriff oder der Begriff des Geistes ist, sondern das Selbstbewußt-
sein selbst, d. h. der seiner selbst bewußte und dadurch wahre Geist ist. Dieser
Begriff ermöglicht Hegel eine überzeugende geschichtliche Darstellung der univer-
sellen Kunst. Sein Irrtum besteht darin, daß er die ästhetische Form nicht wesent-
lich und nicht unüberwindlich sein läßt: der Geist geht durch sie hindurch, um
sie wieder zu verlassen und sich zur Philosophie, zu der reinen Form der Idee
an und für sich, zu erheben. Und die Kunst ist dieser höchsten Form des Ge-
dankens nicht immanent. Nach Gentile ist sie es aber; seine Metaphysik verkündet
einen Universalismus der Kunst, die eine der allgegenwärtigen und niemals über-
windbaren Aktualitäten des Geistes ist.

Was die Weiterbildung der dialektischen Denktechnik anlangt, so sei nur
gesagt, daß Gentile von der statischen Einheitsauffassung mancher Hegelianer zu
einer dynamischen fortstrebt. Wie seine Dialektik arbeitet, kann man leicht an
zahlreichen Beispielen ersehen. Ich nenne die auf Seite 63 und 179, führe sie aber
nicht näher an, da sie keine besondere kunstphilosophische Bedeutung besitzen. Nur
auf eine stiltheoretisch interessante Auswirkung sei hingewiesen. An einer Stelle
wird die Polarität von klassischer und romantischer Kunst übernommen und das
eigentlich wahre und werthafte Sein der Kunst in einer solchen stilistischen Existenz-
weise gesehen, die weder rein klassisch noch rein romantisch, sondern beides zu-
 
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