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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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Kainz, Friedrich: Giovanni Gentiles Kunstphilosophie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0199
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BEMERKUNGEN

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der Schönheit gewonnen, die eben durch die Tatsache des Gefühls mit der Kunst
in Zusammenhang steht. Die Kunst ist die „schöpferische Aktivität der Schönheit".
Ihren Existenzort hat die Kunst „im Geist in seiner Aktualität (im Geist des Lesers
also, der die Dichtung liest...); aber im Innern muß man den Geist seiner aktualen
Form, die Gedanke, Überlegung, Urteil ist, entkleiden, um ideell zu dem echten und
eigentlichen Kern der reinen Kunst zu gelangen". Die Kunst ist ein auf Gefühls-
wirkung gestaltetes Gedankenwerk. Diese wesenhafte Gefühlswirkung ist ein Er-
zeugnis der künstlerischen Form. Auf sie kommt es an, nicht auf den Gegenstand
und Stoff. Einen an sich unkünstlerischen Stoff gibt es so wenig wie einen an sich
künstlerischen. Vom Stofflichen her läßt sich demnach eine Einteilung in Künstleri-
sches und Unkünstlerisches nicht vornehmen. Das Künstlerische liegt in der Form,
in der sich ein bestimmter Stoff aufhebt. Stoff und Form verwachsen im Kunstwerk
zu einem organischen Ganzen, aus dem sich die Teile nicht mehr sondern lassen.
Hier ist ein Gedanke der Formästhetik von De Sanctis gegenüber dem Croceschen
Ausgleiten in eine Gehaltsästhetik wieder in seiner Reinheit hergestellt. In dieser
organischen Synthese von Stoff, Technik und Form erstrahlt die Seele des Künstlers,
liegt Eigenart und Wert des Kunstwerks. Das wahre und angemessene Kunsterleben
überwindet das Stofflich-Gegenständliche und Technische, um zur Form, die auch
den Gehalt einschließt, zu gelangen. Das nämliche ist die Aufgabe der ästhetischen
Kritik (wir würden lieber sagen: der kunstwissenschaftlichen Deutung), die damit
den Entstehungsprozeß des Werks wiederholt. Um den Weg, den der Künstler ging,
zu vollenden, „müssen wir den Inhalt durchschreiten: dieser verwehrt uns den
Durchgang, wenn wir in das, was er uns sagt, in die Worte, die er formuliert, einen
Gedanken hineinlegen, der von dem Gedanken des Dichters, von seiner Weltanschau-
ung, von seinem religiösen Glauben, kurz von der subjektiven Gesamthaltung ab-
weicht, die sein konkretes Gefühl bildete". Um den dichterischen Sinn des poeti-
schen Kunstwerks zu empfinden, „muß man in den konkreten Logos dringen, in
dem die Form aus dem Inhalt und der Inhalt aus der Form im Kreis der leben-
digen geistigen Synthese erwächst". Gentile bekennt sich ausdrücklich zu dem Satz
von De Sanctis: „Die Ästhetik der Form legt den Inhalt nicht beiseite." Das zur
richtigen Bewertung des Kunstwerks einzunehmende Blickfeld beschreibt Gentile
so: „Man muß ... den Inhalt mit der Form unmittelbar in eins setzen, d. h. die
ästhetische Form selbst mit dem Gefühl identifizieren." Er fordert in diesem Zu-
sammenhang, man müsse den von De Sanctis ausgesprochenen Gedanken wieder
aufnehmen — vorher hat das allerdings schon Schiller mindestens ebenso einpräg-
sam gesagt — „daß der Inhalt sich in der künstlerischen Form aufhebt. Nicht eine
rätselhafte Synthese nach der Art der Kantschen Synthesis, die, will man sie klären
und vertiefen, den Dualismus der entgegengesetzten Momente überwinden und zu
der Einheit gelangen muß, die in ihrer Bewegung die Gegensätze erzeugt... Nicht
passives Gefühl und aktive Intuition, sondern jene Intuitivität oder geistige Un-
mittelbarkeit selbst, dialektisch beseelt und frei, die die reine Aktivität des Gefühls
als solches ist."

Eines der Hauptmerkmale der Kunst besteht darin, daß sie „nicht von außen
her und nebensächlich an den Menschen herantritt wie all das, was, sobald es zum
sogenannten Inhalt der menschlichen Erfahrung wird, sein und auch nicht sein
kann, weil der menschliche Geist, das Subjekt der Erfahrung, derselbe bleibt: wie
alle Gegenstände der Natur, deren jeden wir erkennen oder wünschen oder gemein-
hin als Arbeitsmaterial behandeln oder nicht und die uns daher mehr oder weniger
interessieren; oder wie irgendwelche einzelnen geschichtlichen Tatsachen, die wir
nach und nach verstehen lernen, oder die wir nicht beachten, ohne daß unser Leben
 
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