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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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Kainz, Friedrich: Giovanni Gentiles Kunstphilosophie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0205
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BEMERKUNGEN

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pragmatistischen Denkweise auf das Gebiet der reinen Theorie, deren leidenschaft-
licher Anwalt er ist. Ganz folgerecht ist er dabei freilich nicht: den Geschichts-
schreibern der Kunst (insbesondere der Literatur) gestattet er z. B. als „orien-
tierende und heuristische Bestimmungen" gewisse von ihm selbst kurz vorher als
„Pseudobegriffe" entlarvte Termini.

In der Geschichte der Philosophie ist Gentile vortrefflich bewandert und bei
der Auswertung Leibnizscher, Hegelscher und Kantscher Gedankengänge (als Bei-
spiel nenne ich die sehr interessanten Ausführungen über die Bedeutung von Kants
erster Kritik für die Problemstellungen der Kunstphilosophie) gelingen ihm aus-
gezeichnete Entdeckungen. Die moderne deutsche Ästhetik und Kunstphilosophie
scheint Gentile nicht im gleichen Maß zu kennen. Das wird aus manchem deutlich.
Seine Ausführungen über die Katharsis lassen alles vermissen (oder nehmen nicht
zur Kenntnis?), was von der deutschen Philosophie seit Bernays über diesen um-
strittenen Begriff vorgebracht worden ist. Das Wesen von Freude und Schmerz
wird einmal folgendermaßen bestimmt: was wir als Freude empfinden, ist unser
Sein als lebendiges Sein; „daher gefällt uns alles, was unser inneres Leben zu
begünstigen scheint..., und all das mißfällt, was im Widerspruch zu ihm steht''.
Nun, das sind Gedankengänge, wie sie sich prägnanter geformt und plausibler
begründet in der deutschen Einfühlungsästhetik finden, vor allem bei Lipps, wo die
freudige Gemütsbefriedigung im ästhetischen Verhalten auf objektivierten Selbst-
genuß zurückgeführt wird und die psychologischen Kategorien Freude und Schmerz
durch den Vermittlungsbegriff der Einfühlung mit den ästhetischen Kategorien des
Schönen und Häßlichen in einleuchtenden Zusammenhang gebracht werden. Wie bei
Hegel verliert sich die Überschärfe der dialektischen Scheidungen gelegentlich in
Glossomorphie, und wenn es zu Formulierungen kommt wie „Alles ist Kunst, soweit
es Kunst ist", so sind das Bestimmungen, mit denen nicht mehr viel anzufangen

t ist. Die Darstellung dieses kunstphilosophischen Systems ist, wie ich schon erwähnt

habe, logisch sehr klar und konsequent. Mir ist nur e i n wesentlicher Widerspruch
aufgefallen. In dem Abschnitt „Die angebliche Veräußerlichung des Kunstwerks"
sagt der Verfasser sehr richtig: „Wie die Sprache und die Technik, so muß als
Voraussetzung der Kunst jedes physische Mittel (Klang, Farbe, Stein, Marmor)
betrachtet werden, dessen der Künstler sich in seiner Kunst bedient, nicht, wie
man gesagt hat, um sein Phantasiegebilde zu veräußerlichen, sondern um es zu
schaffen." Damit ist eine der deutschen Kunstphilosophie sehr geläufige Ansicht
ausgesprochen, der echte Künstler erlebe und konzipiere bereits in seinem Material
und der daraus fließenden Technik. Es gibt also nicht eine einzige (d i e) künst-
lerische Erlebnisweise, die sich bei jedem Künstler, gleichgültig ob Maler, Archi-
tekt, Dichter und Musiker, gleicherart vorfände und sich erst später bei der Um-
setzung in das Material einer bestimmten Einzelkunst und durch die Projektion auf
die betreffende Technik differenzierte. Wie verträgt sich aber mit dieser unleugbar
richtigen Einsicht, daß Gentile ähnlich wie Croce die Vielfalt der Künste leugnet
und auf der absoluten Einheit der Kunst besteht? Natürlich gibt es „die" Kunst,
wie es „die" Sprache gibt, aber nur als philosophisches Universale, auf der Ebene
zusammenfassender theoretischer Abstraktionen, nicht in lebendiger Wirksamkeit:
noch nie hat sich ein Mensch mit den anderen in d e r Sprache verständigt, noch
nie ein Künstler schlechthin (der nicht Maler, Architekt, Dichter usw. gewesen
wäre) in d e r Kunst etwas Erlebniswirksames geschaffen. Und so behält neben der
höchsten Abstraktion „die Kunst" auch die vielgliedrige Gruppe der Einzelkünste

> nicht nur ihre praktische Existenz, sondern auch ihre theoretische Geltung in einem

System der Kunstphilosophie. Sicherlich ist es die eigentliche Aufgabe des Philo-
 
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