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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0380
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BESPRECHUNGEN

faltung seines eigensten Wesens — wie Hauptmann immer wieder mit Recht betont —
in der Frührenaissance, also im 15. Jahrhundert.

Das führt unseren Verfasser nun zu einer merkwürdigen Schlußfolgerung. Nicht
Rom hat mehr den „Anspruch auf typischen Wert" und nicht die zwanzig Jahre der
Renaissance, sondern Florenz und das ganze 15. Jahrhundert. Die Hochrenaissance
wird zu einem „Augenblick der Obschwebe zwischen den Tendenzen der beiden
langen Perioden der sog. ,Frührenaissance' und des Barock". Nicht Rom ist das
„Ziel" der Entwicklung, sondern Florenz selbst bedeutet die Erfüllung des klassi-
schen Ideals. Rom ist Zerstörerin der Klassik und somit auch des Tondos.

Demgegenüber ließe sich nun folgendes sagen:

Es ist eine sehr gewagte Vorstellung, den Kreis, und noch dazu den isolierten
Kreis, gleichsam zum Sinnbild jenes Vollendungsstils zu inachen, den wir der Be-
quemlichkeit halber ohne besondere Wertbetonung den „klassischen" zu nennen
pflegen. Gerade das Moment der Isolierung, das Hauptmann nun seinerseits von der
Stileigentümlichkeit des Tondos und der lokalen Sonderheit der Stadt Florenz abzieht
und zur Haupteigenschaft des Klassischen macht, hätte ihn darauf aufmerksam
machen müssen, daß er sich gar nicht mehr so sehr im Gegensatz zu Wölfflin, son-
dern auf einem völlig anderem Boden befindet. Isolierung bedeutet für Wölfflin nie-
mals Vollendung, sondern es ist gerade dies ein Element, das sich weitgehend von
der „Gelenk-Kunst" der Hochrenaissance entfernt. Wölfflin betont mit Recht, daß die
Grabmäler des Desiderio und des Antonio Rosselino eben deswegen noch nicht im
eigentlichen Sinne klassisch sind, weil die Figuren darauf nicht „wirklich festgelegt"
sind. In der Tat hat ja auch der isolierte Kreis gar nichts Notwendiges, Ruhiges
mehr, sondern allein jenes römische Medaillon, dessen Rahmen in seine Umgebung
fest eingespannt ist und das deshalb von Hauptmann als Auflösung und Zerstörung
empfunden wird. Der isolierte Kreis, der Tondo, wird stets etwas Schwimmendes,
Unfestes behalten, sofern er nicht verankert ist und — wie die Erfahrung lehrt —
ruft er geradezu nach Verankerung: in der Lünette, im Gewölbezwickel, über einer
feststehenden oblongen Form, die es verhindert, daß er auch nur für die spielende
Phantasie ins Rollen kommen und abwandern könne.

Damit nun soll der Isolierungswille der Florentiner Frührenaissance nicht
geleugnet werden. Die Frage bleibt nur: wenn er nicht Ausdruck des Klassischen ist,
was ist er dann? Was bedeutet überhaupt Isolierung — die man nicht mit Begrenzung
verwechseln darf — innerhalb des gesamten Stilregisters? Isolierung ist meines Er-
achtens eine Form der Negation, wie sie nur der Manierismus kennt und schätzt. Und
wie so häufig auch hier verbunden mit einer abwehrenden Kühle und Abstraktion, die
freilich erst im Manierismus des 16. Jahrhunderts zum Hauptmotiv wird, dennoch
aber schon im 15. Jahrhundert vorgeahnt und mit anderen Mitteln verwirklicht ist.
Niemals ist ein Stil isolierter, d. h. seiner Umwelt entfremdeter gewesen als der
Florentiner Manierismus eines Vasari oder Bronzino. Und ist es denn nicht auf-
fällig, daß eine Stadt, die in der Frührenaissance sich fast bis zum Äußersten aus-
gegeben zu haben scheint, sich nun so schnell wieder in der Welt zurechtfindet und
abermals den Prototyp einer festumrissenen Kunstart schaffen kann? In Florenz
kann man in der Tat sagen, daß die Hochrenaissance etwas von einer „Obschwebe"
zwischen zwei Stilen hat, die aber in Wirklichkeit nur ein Stil sind, der ungern und
unvollständig verlassen wird.

Es ist also nicht der Kreis, der von sich aus klassisch oder manieristisch ist,
sondern es kommt hier in erster Linie auf das Wie an. Der isolierte Kreis, der floren-
tinische, dessen Bildfüllung die Sprödigkeit gegenüber dem Rahmen genau so wenig
verleugnet wie der Tondo als solcher sich seiner Umgebung fremd und feindlich
 
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