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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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Wulff, Oskar: Tizians Kolorit in seiner Entfaltung und Nachwirkung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0258
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OSKAR WULFF

der Miß Ruthven (München), seiner späteren Gattin. Mit Tizian teilt
er auch nach Hetzers treffender Bemerkung den flächigen Farben-
auftrag.

Mit der gleichen überzeugenden Klarheit hat Hetzer das Verhältnis
von Velasquez zu Tizian gekennzeichnet, obwohl seine Bestimmung viel
größere Schwierigkeiten bietet. Wie die spanische Barockmalerei über-
haupt, hat sich seine Begabung zuerst unter der maßgebenden Einwirkung
Caravaggios entfaltet. Er kommt selbst von dem Sittenbilde des niederen
Volkslebens zum Bildnis und zum Geschichtsbilde, während seinem echt-
spanischen Wirklichkeitssinn sowohl die religiöse Empfindsamkeit eines
Murillo oder der Fanatismus eines Zurbaran für das Andachtsbild als
auch die poetische Einbildungskraft für das mythologische Stück ge-
brach. Daher meidet er in seinen Anfängen jede Schönfarbigkeit als
unwahr und arbeitet mit einer von Gelb über Braun und Grau zu
Schwarz reichenden Tonleiter, also fast ausschließlich mit gebrochenen
und neutralen Farben von um so reicherer Abstufung, deren Zusammen-
führung in Farbflächen stattfindet, während die Linie keine Bedeutung
gewinnt. In den drei Musikanten weist das K.-Friedrich-Museum ein
Schulbeispiel dieser Art auf, die jedem Werk seinen besonderen Zug
verleiht. In hellem Licht stehen die Figuren vor dunklem Grunde. Erst
der Hofmaler sucht den Weg zu Tizian als dem Meister des Herrscher-
bildnisses. Er entlehnt ihm die geschmackvolle Farbe, ohne ihre gegen-
ständliche Erscheinungsweise je zu vernachlässigen oder ins Prunkvolle
zu verfallen. Er nimmt nun auch die reinen und gesättigten Farbwerte
des Kostüms auf und weiß sie an Rüstungen als Schärpen und Gold-
zierrat und mit dem Schwarz und Braun der Pferde im Reiterbilde zu
verbinden, nicht aber wie Tizian im Rotblaukontrast. In den „Hilan-
deras" stehen sie im braunen Schattendunkel des Vordergrundes, der
Mittelgrund aber erhellt sich, wie nicht selten bei Tintoretto, in bläu-
lichem Lichtschimmer. Auch das Sammetrot des Papstporträts Innocenz'X.
(Gal. Doria) ist nicht das Tizianische Pauls III. (Neapel) und doch
in seiner Abstufung von ihm bestimmt. In den späten Staatsbildern der
Infanten bietet Velasquez sogar gehäufte Farbenmassen in grellem Gegen-
satz zum blassen Inkarnat der schwächlichen Kindergestalten auf, ord-
net sie jedoch als das Leblose dem Lebensausdruck des Antlitzes und
der Augen völlig unter, wie schon dem vielfältigen Rot des Papst-
kopfes das ungefüge kalte (übrigens im Halbschatten blaß bläulich ab-
getönte) Weiß der Soutane. Hatte nicht Tizian bereits auch diese Mög-
lichkeit in seinem letzten Selbstbildnis (Berlin) erprobt? So bewahrt
die Farbe bei Velasquez stets den Darstellungswert der Wirklichkeit.
Diese nüchterne Auffassung derselben trennt ihn wieder von Tizian und
dem XVI. Jahrhundert, für das sie noch im Sinne des Mittelalters eine
 
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