Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

DOI article:
Lindlar, Heinrich: Hans Pfitzners Liedästhetik: Ruf und Widerhall
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0165
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
HANS PFITZNERS LIEDÄSTHETIK / RUF UND WIDERHALL 151

„Die Inspiration ist das Wesen der Musik als schöpferischer Kunst" (II,
230). Und die wird doch in seinem Lied hundertfältig wirksam15).
Zudem: „Das Beglückende aller musikalischen Gestaltung besteht
darin, daß ein Einfall den anderen gebiert" (II, 223)16). Schließlich sieht
Wohlfahrt Pfitzner emporstreben „in die unendlich durchflogenen Sternen-
räume der deutschen Seele von gesichertem Boden aus, ohne diesen Boden
in seiner Trächtigkeit zu erspüren, sondern nur in seinem spezifisch
deutschen Geruch". Man spüre nun den unaussagbar keuschen Atem,
die wundersame Waldnacht der „Einsamen" oder den schwärmenden
Musikanten in „Sonst", die urfromme Kraft „In Danzig" oder die tief-
gewurzelte naturhafte Treue im „Zorn" (um nur einige der Eichendorff-
Lieder zu erinnern) — und sehe zu. Wie oft noch will die „Wissenschaft"
Pfitzners bitteres Wort wahrmachen, daß ihre „Geschichte der Musik-
formen die chronische Verlegenheit ist, musikalisches Einfallsmaterial
unterzubringen" (II, 24)!

In seinem Beitrag zu „Pfitzners Stellung in der Entwicklung der
deutschen Gesangsmelodie"17) führt Karl Blessinger aus: „Nun ist eben
bei dem jüngeren Pfitzner das Streben nach einer Melodik, die manchmal
über die metrischen Gesetze in ähnlicher Weise sich hinwegsetzt, unver-
kennbar vorhanden, und eine gewisse Schwerfälligkeit der Melodik macht
sich bei ihm oft bemerkbar. Gerade dies aber dürfte auf diese latenten
russischen Einflüsse zurückzuführen sein. Leider wirkt da, wo Pfitzner
bewußt nach Volkstümlichkeit strebt18), diese Schwerfälligkeit manchmal
besonders störend". Wenn der Knabe Pfitzner Gelegenheit gehabt hat,
„ariose Partien russischer Opern" zu hören, wäre eine Kenntnis des spezi-
fisch russischen Sprachakzents Vorbedingung gewesen, den „eintönigen,
metrisch durchaus unbefriedigenden Fluß" des Bühnengesanges als
schlechte Deklamation erkennen zu können. Die aus Walter Abendroths
authentischer Biographie erhellende Jugendlage Pfitzners bekräftigt, wie
diese Vermutung doch stark milieutheoretisch belastete Hypothese bleiben
muß. Übersehen wir nicht, daß im deutschen volkstümlichen Lied, zumal
in nachfolgenden Strophen und im Choral besonders bei Textparodie
frischweg falsche Wortdeklamation unterläuft. So dichtete Matthias Clau-

Denn „es gibt keinen Pfitznerschen Kompositionstypus, weil es keinen Typus
des Pfitznerschen Einfalls gibt". Walter Abendroth, Deutsche Musik der Zeitwende.
Hamburg 1937, S. 154.

16) Lies hierzu Kleists Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken
beim Reden".

") Hans Phtzner-Heft des B.V.B. Augsburg 1921.

18) Wie späterhin (1903) tatsächlich mit „Untreu und Trost" (ohne Opuszahl),
wozu der Komponist vierzehn Jahre später aber gesteht: „Eine der wenigen
Sachen von mir, die ich selbst nicht voll anerkenne". Zit. n. W. Abendroth, Hans
Pfitzner. München 1935, S. 209.
 
Annotationen