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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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Böhm, Wilhelm: Das Bild in der Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0202
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BEMERKUNGEN

jede Dichtungsgattung eine Metapher. P. blickt vom Dichtwerk nicht hinüber ins-
Gebiet der Nachbarkünste, wie Musik und Bildnerei, zumal der Sprachgebrauch auch
deren Werke Symbole nennt. Aber auch die Begriffe der Wissenschaft, die Ideen der
Philosophie, und über das Theoretische hinaus das, was jeder Praktiker aus Erlebnis
und Ausdrucksmittel gestaltet, sind Symbole; denn die Handlungen des Politikers,
des Kaufherrn, sind nicht gut anders möglich, als daß sie sich eines Ausdrucks-
mittels bedienen, in das sie ihre erlebende Persönlichkeit schöpferisch hineinbilden.
Auch die Handlungen des Praktikers setzen verwickelte geistige Prozesse des Er-
lebens und der Mittelwahl voraus, so daß jede Handlung ein Bild ihres Urhebers
wird. Die Symbole der Praktiker seien Sinnlichkeitsbilder genannt, dann sind die
des theoretischen Sinnschöpfers Sinnbilder, und zwar die des Forschers Sachlichkeits-
bilder, und die des Künstlers Scheinbilder oder Spielbilder, — Spiel in jenem
hohen Sinne, wie ihn ebenfalls P. bei Schiller findet. Ausdrucksmittel aller Symbolik,
leibfremde und eigenleibliche sind Sprache, Töne, Farben, Stoffe, Gesten und der
Mitmensch. Alles dies kann ebenso der Sache wie dem Spiele, dem Sinne wie der
Sinnlichkeit dienen; für das dichterische Spielsymbol bietet sich die Volkssprache
und der schon vorhandene Sprachschatz dar, sofern sie mit sich spielen lassen. Den
Unterschied zwischen Sinn, Sinnlichkeit, Sache und Spiel zu bestimmen, und
das Spiel nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu definieren, wäre eine erste
Aufgabe der Untersuchung. Wer also vom dichterischen Bild handeln will, muß
sich darüber klar sein, daß spezifisch dichterisch nur Eine Sonderart des sprach-
lichen Bildes ist, und daß das Erlebnis sich auf jedem Kulturgebiet auswirken
kann. Hier richtet P. keine Grenzen auf. Wenn er gelegentlich von Notbild und Ur-
bild spricht, so ist auch diese Unterscheidung vom Werte des Bildes sämtlichen
Kulturbildern eigen. Keines ist reines Abbild einer Natur, gegen welch oberflächliche
Auffassung er sich mit Recht wendet. — Das Denken des theoretischen Wissen-
schaftlers oder des Praktikers schleift nicht zu Eindeutigkeit ab, so daß „jedes
innere Leben aus den Worten gewichen ist" (S. 89), sondern spitzt mit ungeheurer
Dynamik ebenfalls lebenhaltige Bedeutungen zu. — Die Abstraktion ist zwar Ab-
gezogenheit vom Sinnlichen, aber sie bleibt innerhalb der Seele wie das Sinnliche.
Und die Abblassung mancher Grundbedeutungen geschieht im Haushalt der Seele,
um für Differenzierungen anderer Art Raum zu schaffen, — auch in wertvoller
Poesie.

P. wendet sich gegen die herkömmliche Zerlegung des Dichtwerks nach Gehalt
und Gestalt. Er hätte damit recht, wenn er beide Begriffe als Komponenten eines
Ganzen auffassen wollte; denn dieses Wortpaar bildet keinen sich ausschließenden
Gegensatz: Gestalt ist etwas Zweideutiges; es wird einmal gebraucht in Bedeutung
von Ausdrucksmittel, sodann aber in der Verschmelzung des Gehalts mit dem Aus-
drucksmittel. Für ein generelles Programm wäre also eine Dreiteilung zu fordern,
in der ein Oberbegriff über zwei niederen steht. Diese Forderung geht aber bei P.
in der Dualität von „Sachsphäre" und „Bildsphäre" zumeist unter, so daß Gehalt
und Gestalt in anderen Worten wiederkehren; und meist wird, wo eine Sprach-
sphäre erwähnt wird, ihre Gleichberechtigung als wesentlicher Teil des generellen
Programms in der Ausführung nicht gewahrt.

P. will methodisch loskommen von einer psychologistischen und bloß geistes-
geschichtlichen Betrachtung hin zum Ganzen des Dichtwerks. Aber tatsächlich liegt
im ersten Band das Interesse schon dem rein räumlichen Umfang nach auf einer
geistesgeschichtlichen Entfaltung der Erlebnismöglichkeiten, die bei Betrachtung
jeder Art der Metapher stets von neuem einsetzt. Er ordnet generell bestimmten
Formen bestimmte Kreise von Erlebnissen zu, aber dies Verfahren bleibt immer nur
 
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