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Zeitschrift des Badischen Kunstgewerbevereins zu Karlsruhe — 5.1894

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Aus dem deutschen Hause in Chicago
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https://doi.org/10.11588/diglit.3804#0048

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AUS DEM DEUTSCHEN HAUSE IN CHICAGO.

gestalten, und die Leitung der Ausarbeitung wurde
dem Architekten Wilhelm Fleck in Berlin übertragen.
Auch diesem Manne, der einen so wohldurchgebil-
deten Geschmack bewiesen hat, gebührt vor allem
der Dank derer, die an dem glänzenden Siege Deutsch-
lands Anteil genommen haben und noch nehmen.
Dies um so mehr als die Kürze der Zeit zur höchsten
Eile trieb, die oft außergewöhnliche Maßregeln not-
wendig machte.

Die Ausführung der Dekorationspläne über-
nahmen die Firmen G. Prächtel, Hoflieferant in Berlin
(Vorhalle), und B. Harrass in Bohlen in Thüringen
(Empfangssaal). Dem Äußeren des Hauses entspre-
chend — das lag auf der Hand — mussten auch
die Innenräume in echter, guter deutscher Weise ge-
halten sein. Die flüchtigen Skizzen, welche Archi-
tekt W. Fleck zunächst für den Empfangssaal vor-.
legte, fanden vollen Beifall des Herrn Baumeisters
Radke und des Reichskommissars. Über die Vorhalle
stand bei der kurz darauf erfolgten Abreise der
beiden Herren nur so viel fest, dass sie in einfacher
(tiroler) Gotik gehalten werden sollte. Die Verhand-
lungen mit den betreffenden Firmen verzögerten
sich so, dass mit der Ausarbeitung der Zeichnungen
für den Empfangssaal Mitte November 1892 erst be-
gonnen werden konnte, mit den Ausführungsarbeiten
also erst Anfang Dezember; die Entwürfe und Details
zur Vorhalle wurden Anfang Januar 1893 angefangen.
Bereits Mitte März gingen die letzten Stücke der
beiden Einrichtungen von Hamburg nach Chicago ab.

Allen Beteiligten, insbesondere den ausführenden
Firmen Prächtel und Harrass gebührt für die rasche
und gediegene Ausführung hohes Lob, für die vater-
landsliebende Opferfreudigkeit der wärmste Dank
Deutschlands. Ohne Rücksicht auf die enormen Opfer
an Zeit und vor allem an Geld haben die beiden
Firmen die vorgeschlagenen kostspieligen Arbeiten
unverkürzt ausgeführt und so ihr redlich Teil bei-
getragen zu dem schönen, die Welt erfüllenden Er-
folg, den deutsche Energie und Kunstfertigkeit im
friedlichen Wettstreit jenseit des Ozeans errungen hat.

Über die Einzelheiten der Räume, die wir zum
Teil in eignen Aufnahmen des Herrn Fleck, zum Teil
in Perspektiven veröffentlichen, mögen den Lesern
die nachfolgenden Bemerkungen dienen.

Betritt man über die große Freitreppe des
„deutschen Hauses" das säulengetragene, prächtig
ausgemalte Treppenhaus, so hat man zunächst vor
sich den freien Durchblick in die große Halle, in
der hervorragende deutsche Arbeiten zur Aufstellung
gelangt sind; links zweigt die Treppe nach oben ab —

rechts öffnet sich der Einblick zu den Räumen des
Reichskommissars: die Vorhalle.

Der Raum, ungefähr 12 m lang, 4,5 m breit bei
einer Höhe von 4,5 m, ist überdacht mit einer vollen
Balkendecke. Der vordere Teil, etwa 8,5 m lang,
hat längs der festen Wände eine in den bekannten
Formen der Tiroler Gotik gehaltene Vertäfelung in
Manneshöhe — Kiefernholz hellbraun lasirt. Die oberen
Friese haben reiches, flach gehaltenes Ornament,
dessen Grund abwechselnd kräftig blau und rot ge-
halten ist. In derselben Weise, nur farbenreicher,
ist die Decke behandelt — die Mittelfelder einfach
und flach, die beiden Endfelder reich kassettenartig
ausgebildet; in den Mittelfeldern breitet sich ein
farbiges Ornament frei über die Fläche aus.

Die Wände oberhalb der Vertäfelung sind mit
bemaltem Stoff (heraldischer Adler, gelb und grünes
Muster) bekleidet; Stoffdekorationen und Lambrequins
in den offenen Durchgängen zwischen den Säulen,
aus saftig-grünem Plüsch und rotbraunem Sammet
mit reichsten Stickereien ergänzen den heitern, farben-
frohen Eindruck dieses Raumes. Die Eingangsthüre
zum Empfangssaal ist mit einem kräftigen, vorsprin-
genden Portal umrahmt —■ ein breiter Spiegel teilt
die Wandfläche, lässt all die Herrlichkeiten doppelt
erscheinen und erweitert künstlich das Ganze; ein
kräftiger Tisch mit „Hockerle" darum auf weichem
Teppich bilden die Ausstattung dieses Raumes.

Ein Schmuckkästchen „eigener Art" bildet der
Erker, der Abschluss der Vorhalle nach dem Fenster.
Eine energische Holzbogenarchitektur trennt diesen
um drei Stufen erhöhten Lauschewinkel vom vor-
deren Raum, und wenn vorn die heiteren, hellen Töne
maßgebend waren: Hier ist die Skala tiefer ge-
stimmt! Kräftig in der Form und dunkelbraun in
der Farbe — aus deutschem Eichenholz gebaut,
hebt sich hier die reich und unregelmäßig, aber
eigenartig ausgebildete Vertäfelung von den hüb-
schen Gobelins ab. Eine „Schwarzwälder" in der
Ecke, mit Kirchturmaufbau und dem Wetterhahn
geschmückt, tickt fröhlich die flüchtigen Minuten;
neben dem eigenartig ausgebildeten Schreibtisch
vor dem Fenster laden weiche, üppige Polster zum
Ausruhen ein, zum „süßen Nichtsthun", und es mag
wohl mancher in dieser farbenprächtigen, molligen
Ecke mit ihrer reichen Dekoration, mit ihren prunk-
vollen, kostbaren Stickereien befriedigt gerastet
haben. „Befriedigt" nach allen mündlichen und
Zeitungsberichten; es ist jammerschade, dass die ab-
gedruckten Zeichnungen und Photographieen die
Farbe-, die Gesamtstimmung nicht wiedergeben
 
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