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Zeitschrift des Badischen Kunstgewerbevereins zu Karlsruhe — 5.1894

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Bode, Wilhelm von: Moderne Kunst in den Vereinigten Staaten von Amerika, [2,1]: Die Architektur und das Kunsthandwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.3804#0143

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MODERNE KUNST IN DEN VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA.

Deutschland, die Ansicht, dass für Amerika die ordi-
närste Dutzendware noch immer gut genug sei, noch
die allgemeine ist, erfuhren wir dort zu unserem Er-
staunen und zu unserer Beschämung, dass selbst
unsere besten Arbeiten neben denen der Amerikaner
nur zu oft als Dutzendarbeit bezeichnet werden
mussten, dass sie in ihrer missverstandenen und meist
nicht einmal guten Nachahmung alter Formen neben
den eigenartigen und phantasievollen Schöpfungen
des amerikanischen Kunstgewerbes unverstanden und
banal erschienen. Wenn man sich bei uns, auch
von seiten derer, welche offen diese Vorzüge aner-
kennen, damit zu trösten sucht, dass „auch drüben
mit Wasser gekocht werde", dass dort nur einzelne
Zweige des Kunstgewerbes überhaupt kultivirt wür-
den, dass die große Masse der Erzeugnisse noch
immer von Europa importirt werde, und dass jene
hervorragenden Leistungen nur einigen wenigen
großen Künstlern zu danken seien, so ist dies meines
Erachtens ein trügerischer Trost. Die Amerikaner
stehen erst in den Anfängen und werden von Jahr
zu Jahr ihren künstlerischen Sinn auf neue Gebiete
ausdehnen. Was sie inaportiren, fällt leider zumeist
unter den Begriff „billig und schlecht", und die
Amerikaner sind mit Recht stolz darauf, dass sie
sich mit dieser Ware nicht abgeben, für deren Her-
stellung obenein die Arbeit drüben zu teuer ist. Jene
Abhängigkeit des Kunsthandwerks von einzelnen
ganz hervorragenden Meistern, die sogar gewisse
Zweige desselben so gut wie monopolisirt haben,
erweist sich aber bei genauerem Studium der Verhält-
nisse gerade als einer der Vorteile des Kunsthand-
werks in Amerika.

Es ist gewiss berechtigt, wenn von englischer
Seite betont wird, dass das Kunstgewerbe in den
Vereinigten Staaten vom englischen Handwerk ab-
stamme; ja man kann sogar zugeben, dass es noch
jetzt in einzelnen Zweigen davon abhängig ist, wie
es andererseits von Frankreich die klassischen Vor-
bilder für „stilvolle" Einrichtungen im Louis XV-,
Louis XVI-Stile u. s. w. entlehnt. Aber es ist sehr
irrtümlich, wenn man das amerikanische Kunsthand-
werk etwa als einen kolonialen Zweig des englischen
hinzustellen sucht: wo in Amerika ernstlich der
Versuch gemacht ist, das Handwerk in künstlerischer
Weise auszubilden, ist dies in eigener, echt amerika-
nischer Weise und auf Grund amerikanischer Gewohn-
heiten und Erfahrungen geschehen. Alle Arten des
amerikanischen Kunstgewerbes haben ihren gemein-
samen Charakter, der sie sofort als solche kenntlich
macht; sie haben jede ihre besonderen Eigentümlich-

keiten, die ebenso national sind wie die Verhältnisse,
aus denen sie erwachsen sind. Und gerade das macht
ihre Erzeugnisse so reizvoll und originell; gerade
daraus dürfen die Amerikaner mit Zuversicht auf
eine gedeihliche und eigenartige Weiterentwickelung
ihres Handwerks rechnen, während in Europa fort-
während die Nachahmung eines alten Stils nach
dem anderen sich folgt, die jede Regung der Eigen-
artigkeit, jede freie Entwicklung aus den Bedürf-
nissen heraus von vornherein unterbindet oder doch
rasch wieder unterdrückt.

Worin liegen die Vorzüge des Kunsthandwerks
in den Vereinigten Staaten, und worin ist das rasche
Entstehen und Aufblühen derselben begründet: das
sind die Fragen, die sich uns Kindern des alten
Kontinents gelegentlich der Ausstellung immer
wieder aufdrängten. Daneben ist uns Deutschen in
unserer lernwütigen und lehrhaften Art sofort die
dritte Frage nahegetreten: was können wir von dem
amerikanischen Kunstgewerbe lernen und uns daraus
aneignen? Diese letzte Frage möchte ich vorweg
dahin beantworten, dass das Beste, was wir von den
Amerikanern in dieser Beziehung lernen könnten,
gerade darin bestünde, dass wir möglichst wenig von
ihnen nachzuahmen suchen, dass wir uns hüten, zu
allem Überlieferten und allem Fremden, das wir uns
in Kunst und Kunsthandwerk schon angeeignet haben,
ohne Rücksicht darauf, ob es für uns passt oder
nicht, auch noch amerikanische Art auf unsere Kunst
aufzupfropfen.

Wie wichtig eine Beschränkung in dieser Rich-
tung ist, erkennen wir am besten, wenn wir den
Bedingungen nachgehen, unter denen das amerika-
nische Kunstgewerbe groß geworden ist. Denn deut-
lich zeigt sich als die eigentliche Grundlage, auf der
dasselbe erwachsen ist, die Ausbildung und das Aus-
reifen selbständiger nationaler Bedürfnisse. Wenn
von seiten unserer Handwerker auf die Vorteile hin-
gewiesen wird, die Amerika durch das treffliche
Material der verschiedensten Art und teilweise auch
durch die größere Billigkeit desselben vor uns vor-
aus hat, so ist das freilich richtig: die zahlreichen
feinen Holzarten, die trefflichen Steine, Halbedel-
steine und Metalle, die mannigfachen feinen Leder-
sorten u. s. w. kommen dem Bau- und Kunsthandwerk
drüben sehr zu statten. Aber das ist ein Vorteil,
den z. B. auch Russland hat, und doch weiß man
denselben dort ebenso wenig auszunutzen, wie man
es noch vor wenigen Jahrzehnten in den Vereinig-
ten Staaten gethan hat. Erst als man drüben genau
wusste, was man wollte und wie man es wollte, sind
 
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