ZUR ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DES MUHAMMEDANISCHEN ORNAMENTES.
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Blütezeit, vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, so wird
man finden, dass sie in alle Zweige des Kunst-
gewerbes eingedrungen sind. So beherrschen die
Tierfiguren die Muster der mittelalterlichen Seiden-
gewebe, deren Herkunft zwar selten genau zu be-
stimmen ist, die aber zum großen Teil aller Wahr-
scheinlichkeit nach den westsarazenischen Manufak-
turen entstammen. Sie bilden in Ver-
bindung mit der Arabeske den wich-
tigsten Teil der Verzierung jener sil-
bertauschirten Messinggeräte, die durch
Inschriften als mesopotamische (Mos-
sul-)Arbeiten des 12. und 13. Jahrhun-
derts festgestellt sind. Die gleichen
Jagdscenen und einzelnen Tierfiguren
weisen die emaillirten Gläser aus Ägyp-
ten und Syrien auf, ferner Holz- und
Elfenbeinschnitzereien gleicher Her-
kunft, die Rückseiten von Bronzespie-
geln und schließlich auch die wenigen
noch erhaltenen Beispiele sarazenischer
Emaillirkunst. Zu letzteren gehört eine
frühmittelalterliche goldene Flasche im
Schatz von St. Moritz in der Schweiz,
mit symmetrisch gegenübergestellten
Tieren in Email cloisonne auf Gold
verziert (abgeb. bei Bucher, Geschichte
d. techn. Künste II). Bei diesem Stück,
das noch der unselbständigen Epoche
der sarazenischen Kunst entstammt, ist
der byzantinische Charakter selbstver-
ständlich; er zeigt sich aber auch noch
in greifbarer Deutlichkeit an dem ein-
zigen datirten Emailwerk späterer Zeit.
Es ist eine flache Kupferschale im Mu-
seum zu Innsbruck, ganz mit Zellen-
schmelz bedeckt. Im Mittelfeld ist eine
männliche Figur auf einer von zwei
Greifen gezogenen Biga dargestellt, auf
einem von Schnörkeln durchzogenen
Grunde. Der Rand trägt sechs Medail-
lons, abwechselnd mit Gruppen käm-
pfender Tiere in altpersischer Art und
Adlern mit Nimben. Zwischen den Medaillons wech-
seln Palmen und Gewandfiguren. Eine um den Rand
laufende arabische Inschrift besagt, dass die Schale
für den ortokidischen Fürsten Rukn ed Daula Daud
ibn Sokaran von Amid, der bis 1144 regierte, ge-
fertigt ist.
Diese Emailarbeiten, wie manche unter den tau-
schirten Messinggefäßen von Mossul und sonstige
Abb. 5. Wasserpfeife,
Kuffer gravirt. Persiel], 19. Jabrh.
mit Tieren und Menschen dekorirte Geräte bestäti-
gen Riegl's Ansicht, dass auch die animalischen
Darstellungen der Sarazenen aus spätantiker Über-
lieferung entstanden sind. Doch ist aus dem Inhalt
der animalischen Ornamente, die fast ausschließlich
dem Formenkreis der Jagd entnommen sind, sowie
aus der typischen Wiederholung bestimmter Gruppen
kämpfender Tiere zu entnehmen, dass
an diesen Ornamenten die persische
mit altorientalischen Traditionen durch-
setzte Kunst einen mindestens ebenso
großen Anteil hat, wie die hellenistische.
In der muhammedanischen Kunst
Vorderasiens haben allzeit die Perser
die führende Stellung eingenommen,
bis sie in neuester Zeit von Indien über-
holt worden sind. Auch die persisch-
islamitische Ornamentik ist wie die
westsarazenische aus spätantiker Grund-
lage entwachsen. Diese Gemeinsamkeit
der Quelle hat wohl dazu beigetragen,
dass die sarazenischen Kunstformen in
die der östlichen Länder des Islam so
vollkommen sich eingefügt haben. Aber
während die Araber nichts an eigenen
Formen dem antiken Schatze zuzufügen
hatten, war in Persien durch das Ein-
dringen hellenistischer, römischer und
byzantinischer Kunst doch nicht alle
Erinnerung an die altorientalische, assy-
risch-persische Wurzel ausgelöscht wor-
den. In den sassanidischen Denkmälern,
den Seidengeweben, Silberarbeiten und
Skulpturwerken lebt trotz unverkenn-
barer römischer Einflüsse doch viel alt-
persische Eigenart fort, die nicht nur
in der Äußerlichkeit der nationalen
Tracht, sondern auch in den Motiven
der figürlichen Darstellungen und For-
menbildung bei tierischen und mensch-
lichen Körpern zum Ausdruck kommt.
Diese iranische Eigenart hat auch der
starke Einfluss des Arabertums nicht
unterdrücken und verwischen können. Vor allem
ist der für die sarazenische Ornamentbildung maß-
gebende antinaturalistische, abstrakte Geist der
Araber bei den Persern nicht zur vollkommenen
Herrschaft gelangt. Daher ergiebt sich als all-
gemeines Charakteristikum der persischen Ornamen-
tik — und, da Inder und Türken unter persischem
Einfluss stehen, der ostrnuhammedanischen Ormv
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Blütezeit, vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, so wird
man finden, dass sie in alle Zweige des Kunst-
gewerbes eingedrungen sind. So beherrschen die
Tierfiguren die Muster der mittelalterlichen Seiden-
gewebe, deren Herkunft zwar selten genau zu be-
stimmen ist, die aber zum großen Teil aller Wahr-
scheinlichkeit nach den westsarazenischen Manufak-
turen entstammen. Sie bilden in Ver-
bindung mit der Arabeske den wich-
tigsten Teil der Verzierung jener sil-
bertauschirten Messinggeräte, die durch
Inschriften als mesopotamische (Mos-
sul-)Arbeiten des 12. und 13. Jahrhun-
derts festgestellt sind. Die gleichen
Jagdscenen und einzelnen Tierfiguren
weisen die emaillirten Gläser aus Ägyp-
ten und Syrien auf, ferner Holz- und
Elfenbeinschnitzereien gleicher Her-
kunft, die Rückseiten von Bronzespie-
geln und schließlich auch die wenigen
noch erhaltenen Beispiele sarazenischer
Emaillirkunst. Zu letzteren gehört eine
frühmittelalterliche goldene Flasche im
Schatz von St. Moritz in der Schweiz,
mit symmetrisch gegenübergestellten
Tieren in Email cloisonne auf Gold
verziert (abgeb. bei Bucher, Geschichte
d. techn. Künste II). Bei diesem Stück,
das noch der unselbständigen Epoche
der sarazenischen Kunst entstammt, ist
der byzantinische Charakter selbstver-
ständlich; er zeigt sich aber auch noch
in greifbarer Deutlichkeit an dem ein-
zigen datirten Emailwerk späterer Zeit.
Es ist eine flache Kupferschale im Mu-
seum zu Innsbruck, ganz mit Zellen-
schmelz bedeckt. Im Mittelfeld ist eine
männliche Figur auf einer von zwei
Greifen gezogenen Biga dargestellt, auf
einem von Schnörkeln durchzogenen
Grunde. Der Rand trägt sechs Medail-
lons, abwechselnd mit Gruppen käm-
pfender Tiere in altpersischer Art und
Adlern mit Nimben. Zwischen den Medaillons wech-
seln Palmen und Gewandfiguren. Eine um den Rand
laufende arabische Inschrift besagt, dass die Schale
für den ortokidischen Fürsten Rukn ed Daula Daud
ibn Sokaran von Amid, der bis 1144 regierte, ge-
fertigt ist.
Diese Emailarbeiten, wie manche unter den tau-
schirten Messinggefäßen von Mossul und sonstige
Abb. 5. Wasserpfeife,
Kuffer gravirt. Persiel], 19. Jabrh.
mit Tieren und Menschen dekorirte Geräte bestäti-
gen Riegl's Ansicht, dass auch die animalischen
Darstellungen der Sarazenen aus spätantiker Über-
lieferung entstanden sind. Doch ist aus dem Inhalt
der animalischen Ornamente, die fast ausschließlich
dem Formenkreis der Jagd entnommen sind, sowie
aus der typischen Wiederholung bestimmter Gruppen
kämpfender Tiere zu entnehmen, dass
an diesen Ornamenten die persische
mit altorientalischen Traditionen durch-
setzte Kunst einen mindestens ebenso
großen Anteil hat, wie die hellenistische.
In der muhammedanischen Kunst
Vorderasiens haben allzeit die Perser
die führende Stellung eingenommen,
bis sie in neuester Zeit von Indien über-
holt worden sind. Auch die persisch-
islamitische Ornamentik ist wie die
westsarazenische aus spätantiker Grund-
lage entwachsen. Diese Gemeinsamkeit
der Quelle hat wohl dazu beigetragen,
dass die sarazenischen Kunstformen in
die der östlichen Länder des Islam so
vollkommen sich eingefügt haben. Aber
während die Araber nichts an eigenen
Formen dem antiken Schatze zuzufügen
hatten, war in Persien durch das Ein-
dringen hellenistischer, römischer und
byzantinischer Kunst doch nicht alle
Erinnerung an die altorientalische, assy-
risch-persische Wurzel ausgelöscht wor-
den. In den sassanidischen Denkmälern,
den Seidengeweben, Silberarbeiten und
Skulpturwerken lebt trotz unverkenn-
barer römischer Einflüsse doch viel alt-
persische Eigenart fort, die nicht nur
in der Äußerlichkeit der nationalen
Tracht, sondern auch in den Motiven
der figürlichen Darstellungen und For-
menbildung bei tierischen und mensch-
lichen Körpern zum Ausdruck kommt.
Diese iranische Eigenart hat auch der
starke Einfluss des Arabertums nicht
unterdrücken und verwischen können. Vor allem
ist der für die sarazenische Ornamentbildung maß-
gebende antinaturalistische, abstrakte Geist der
Araber bei den Persern nicht zur vollkommenen
Herrschaft gelangt. Daher ergiebt sich als all-
gemeines Charakteristikum der persischen Ornamen-
tik — und, da Inder und Türken unter persischem
Einfluss stehen, der ostrnuhammedanischen Ormv