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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Schroers, Heinrich: Studien zu Giovanni da Fiesole, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0209

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383

1898.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

334

ancilla Domini, fiat mihi secundum verbum
tuum." Die Menschwerdung des Wortes ist ge-
schehen; sein „Kreuz des Verlangens" ist auf-
gerichtet, das emporwachsen wird zum Kreuze
auf Golgotha. Das blutüberströmte Haupt des
hl. Petrus Martyr, der wie der Gekreuzigte
blutigen Tod duldete, und den Angelico sinnend
und betend hinter den Engel gestellt hat, sagt
es|uns. Auch die rosafarbenen Gewänder des
Engels und der Jungfrau, das Roth der Flügel,
die rothe Flamme über der Stirne Gabriels
reden die symbolische Sprache des Kreuzes.84)
Vielleicht ist es kein Zufall, dafs gerade in der
Zelle nebenan (Nr. 4)
sich eine Kreuzigung
befindet, die einzige
in dieser ganzen Flucht
der Zimmer. Viel-
leicht hat der Maler
mit Absicht, wie auf
dem Korridor so auch
hier, beide Darstellun-
gen möglichst nahe
verbunden, die „croce
del corpo" mit der
„croce del desiderio".
Diese beiden Ver-
kündigungen, nament-
lich die letzte, gehören
zu den ganz grofsen
Werken der Kunst.
Das Wort Poesie ist
zu arm, das Wort
über natürliche Schön-
heit zu allgemein, das
Wort mystisches Schauen zu dunkel, um jene
hingehauchten Linien, jene von Farbenduft
durchtränkten Gestalten, jenes Geheimnifs der
Empfindungen zu bezeichnen. Domenico Tumi-
ati, dessen feinfühliges Auge Angelicos malerische
Absichten oft so gut verstand, wenn ihm auch
der religiöse Inhalt ein Buch mit sieben Sie-
geln blieb, legt vor diesem Bilde ein Geständ-
nifs ab. „Seit einer Stunde", schreibt er, „bin
ich hier und kann meine Gedanken noch nicht
fassen. Diese zarte Melodie der Linien flieht
vor mir, während ich versuche, sie zu um-

M) Die oft zur Erklärung dieser Verkündigungs-
bilder angezogenen Verse Dantes (Purg. X, 34 sgg.)
enthalten nichts als eine poetische Umschreibung des
biblischen Berichtes. Noch weniger treffen den Inhalt
die von B eissei S. 32 citirten Verse Parad. XXXII,
109 sgg.

Fig. 2

schreiben; keine Andeutung unterstützt mich
bei der Beobachtung, kein Farbenton lenkt mir
die Augen auf die Entdeckung des Farben-
centrums. Die Empfindung ist ähnlich jener,
die aus einer Lesung der „Vita Nuova" und
der „Fioretti di San Francesco" entsteht. Es
ist unmöglich, sie zu bestimmen. Wenn in der
kleinen Zelle der Spiegel das Licht sammelt
und auf das Gemälde wirft, läuft ein solcher
Strahl durch die leichten Linien, welche die
Umrisse des Engels und Marias bilden, ein
solcher geistiger Zauber, dafs wir an eine
wirkliche Vision glauben möchten. Es ist
kein Werk mensch-
licher Kunst, sondern

etwas Uebernatür-
liches." „WÜst ihr",
läfst er Fiesole spre-
chen , „in welcher
Stunde ich diese meine
Verkündigung entwor-
fen habe? In der ganz
reinen Morgendämme-
rung eines Frühlings-
tages, nach einem lan-
gen Gebete: die Ek-
stase verwandelte sich
unmittelbar in das
Bild."85) Neben der
vollendeten Zeichnung
der ätherischen Leiber
und dem zu übersinn-
licher Schönheit ge-
steigerten Ausdrucke
der Köpfe, ist es in der
That die wunderbare Wirkung des Lichtes, die
den Eindruck so unbeschreiblich macht. Kry-
stallener Glanz erfüllt den Raum und umfliefst
die Gestalt des Engels, als wenn er vor Gottes
Thron stände, und hat das Gewand der Jung-
frau so durchwirkt, dafs die Farbe nur mehr
in den tiefen Falten zur Geltung kommt. Maria
scheint von einem inneren Lichtquell durch-
leuchtet zu sein. Wohl, das Licht der Welt
kam ja in diesem Augenblicke in ihren
Schoofs.

An dem englischen Grufse und ebenso am
letzten Abendmahle ist noch ein anderer sinn-
voller Zug des Meisters zu beobachten. Die
Oertlichkeit ist jedesmal das Kloster selbst.
Indem er dem Räume, wo sich die Jünger zum

5) »Frate Angelico« pag. 191—193.
 
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