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Der Rathskeller von Marienheim.
Rachdruck zu geben, hob er den Degen etwas in die Höhe.
Der Amtmann trat hinter den Schreibtisch.
Was habt Ihr mir zu sagen? fragte er.
Ich Hab' die Ebertin umgebracht.
Weiß ich, sagte der Amtmann kalt, der seht seine ganze
Ruhe wieder erlangt hatte.
Das weißt Du? fuhr Jean Baptiste fort. Das weißt
Du, aber das weißt Du nicht, daß sie mich zuerst jählings
angefallen, mit ihrem spanischen Mordinstrument, mit ihrem
spitzen Stilet, das sie dem Diego gestohlen, daß es nur
Rothwehr war. als ich zustieß — das weißt Du nicht!
Und brauchst es auch nicht zu wißen. Sieh, Amtmann,
hier geb' ich mich in Deine Hände, ich hätte stiehcn können,
aber ich wollt' nicht — hätte doch keine Ruh' gefunden. —
So geb' ich mich freiwillig in Deine Hände, nur versprich
mir, keine Milderungsgründe geltend zu machen; etwa durch
! das schlechte Renommoc der Ebertin, daß sie mich zuerst an-
i gefallen und was dergleichen noch mehr ist. Ich kann s nicht
! ertragen, wenn ich eingesperrt würde jcljn - zwanzig
I Jahre. Frei muß ich sein oder tobt! Willst Du's befördern,
, ich weiß Du kannst's. Auf Dich kommt's nur an, daß ich
j den Tod zugeurtheilt kriege. Willst Du s thun?
Er zuckte wild mit dem Degen nach des Amtmanns Brust.
Ich will's! schrie der Amtmann. Ich will s.
Schwöre.
Er schwur — —
Fünf Minuten später wurde der Delinquent in Ketten
nach dem Rathhaus geführt. Da sahen die Marienheimer
den Jean Baptiste zum letzten Male. Hier runter uns breiten
sich nämlich die Amtszellen aus, die andern Rathskeller, wo
die Gefangenen früher eingesponnen wurden, zu denen der
j Amtmann allein den Schlüssel hatte. Dahin brachten sie
auch den Jean Baptiste, den Mörder der Ebertin. Der alte
Schließer Eberhardt führte ihn in den tiefsten Keller, wo
ewige Dämmerung herrscht, nach schriftlichem Befehl des Amt-
mann Wild, und schloß hinter ihm zu.
Einige Zeit darauf hieß cs: der Jean Baptiste sei ge-
storben, er habe sich dem Arm der weltlichen Justiz durch
! seinen eigenen entzogen, und sei nächtlicher Weis auf dem
Friedhof eingescharrt worden.
Die Marienheimer glaubten's, bis zum Tod des Eber-
hardt. Der gestand nach langen, langen Jahren, als der
Amtmann schon längst todt war, auf dem Sterbebette seinem
Seelsorger, daß der Jean Baptiste dazumal sich nicht entleibt
habe, sondern daß der Amtmann Wild, um Rache zu nehmen an
ihm und der Elsbeth Benderin, die ihn abgewiesen und die als
ehrsame Jungfrau noch ein hohes Alter erreicht hat, ihn im
Rathskeller habe schmachten lassen auf faulem Stroh, bei
schimmligem Brod und faulem Wasser mehrere Jahre hin-
durch, bis er vor Entkräftung und Krankheit zur braunen,
fleischlosen Mumie zusammengeschrumpft, umgekommen sei
den eilften September 1744 — mit gräßlichen Gottesläster-
ungen; und den Amtmann Wild habe er verflucht, der seinen
Schwur an ihm gebrochen, sammt allen Gerichtspersonen
Marienhcims und geschworen, an seinem Sterbetag je Einem i
den Hals zu brechen. Unten in der tiefsten Zelle liege er
noch in einem schlottrigen Sarge, den er dazumal selbst ge-
zimmert habe. Darauf starb der Ebcrhardt. Die Raths-
herrcn eilten in den bezeichnetcn Kerker und fanden die un-
glaubliche Aussage bestätiget. Schaudernd rannten sic Alle
vor dem erschrecklichen Anblick hinweg.
Seit diesem Tage ist der Rathskeller verödet.
So habe ich die Geschichte des Jean Baptiste's hundert-
mal erzählen hören, selbst erzählt und auch in meine Historien
von Marienheim mit einigen erdenklichen Zusätzen acceptiret."
Der Schneider war zu Ende. Seine Erzählung hatte
mich seltsam ergriffen. Bald war sie mit seltsamen, längst
verschollenen Redensarten verziert gewesen, bald warm und
glühend wie ein Liebeshauch und dann wieder so gefällig und
trocken im Schrecklichen. Er war ein eigcnthümlicher Mensch.
Phantasmata!
Die Kerze war schon lange abgebrannt, der Mondschein
fiel hoch durch die tiefen Fcnstcrbogen herein und flimmerte
in den leeren Gläsern.
„Es ist schon spät," sagte der Schneider. „Ich denke,
wir gehen."
Und wir gingen.
Herzlose Theilnahmc.
Einer znm Andern: „Um das Sterben ist es doch j
etwas Hartes, wenn cs meine Frau nur schon überstan- ;
den hätte."
b
Der Rathskeller von Marienheim.
Rachdruck zu geben, hob er den Degen etwas in die Höhe.
Der Amtmann trat hinter den Schreibtisch.
Was habt Ihr mir zu sagen? fragte er.
Ich Hab' die Ebertin umgebracht.
Weiß ich, sagte der Amtmann kalt, der seht seine ganze
Ruhe wieder erlangt hatte.
Das weißt Du? fuhr Jean Baptiste fort. Das weißt
Du, aber das weißt Du nicht, daß sie mich zuerst jählings
angefallen, mit ihrem spanischen Mordinstrument, mit ihrem
spitzen Stilet, das sie dem Diego gestohlen, daß es nur
Rothwehr war. als ich zustieß — das weißt Du nicht!
Und brauchst es auch nicht zu wißen. Sieh, Amtmann,
hier geb' ich mich in Deine Hände, ich hätte stiehcn können,
aber ich wollt' nicht — hätte doch keine Ruh' gefunden. —
So geb' ich mich freiwillig in Deine Hände, nur versprich
mir, keine Milderungsgründe geltend zu machen; etwa durch
! das schlechte Renommoc der Ebertin, daß sie mich zuerst an-
i gefallen und was dergleichen noch mehr ist. Ich kann s nicht
! ertragen, wenn ich eingesperrt würde jcljn - zwanzig
I Jahre. Frei muß ich sein oder tobt! Willst Du's befördern,
, ich weiß Du kannst's. Auf Dich kommt's nur an, daß ich
j den Tod zugeurtheilt kriege. Willst Du s thun?
Er zuckte wild mit dem Degen nach des Amtmanns Brust.
Ich will's! schrie der Amtmann. Ich will s.
Schwöre.
Er schwur — —
Fünf Minuten später wurde der Delinquent in Ketten
nach dem Rathhaus geführt. Da sahen die Marienheimer
den Jean Baptiste zum letzten Male. Hier runter uns breiten
sich nämlich die Amtszellen aus, die andern Rathskeller, wo
die Gefangenen früher eingesponnen wurden, zu denen der
j Amtmann allein den Schlüssel hatte. Dahin brachten sie
auch den Jean Baptiste, den Mörder der Ebertin. Der alte
Schließer Eberhardt führte ihn in den tiefsten Keller, wo
ewige Dämmerung herrscht, nach schriftlichem Befehl des Amt-
mann Wild, und schloß hinter ihm zu.
Einige Zeit darauf hieß cs: der Jean Baptiste sei ge-
storben, er habe sich dem Arm der weltlichen Justiz durch
! seinen eigenen entzogen, und sei nächtlicher Weis auf dem
Friedhof eingescharrt worden.
Die Marienheimer glaubten's, bis zum Tod des Eber-
hardt. Der gestand nach langen, langen Jahren, als der
Amtmann schon längst todt war, auf dem Sterbebette seinem
Seelsorger, daß der Jean Baptiste dazumal sich nicht entleibt
habe, sondern daß der Amtmann Wild, um Rache zu nehmen an
ihm und der Elsbeth Benderin, die ihn abgewiesen und die als
ehrsame Jungfrau noch ein hohes Alter erreicht hat, ihn im
Rathskeller habe schmachten lassen auf faulem Stroh, bei
schimmligem Brod und faulem Wasser mehrere Jahre hin-
durch, bis er vor Entkräftung und Krankheit zur braunen,
fleischlosen Mumie zusammengeschrumpft, umgekommen sei
den eilften September 1744 — mit gräßlichen Gottesläster-
ungen; und den Amtmann Wild habe er verflucht, der seinen
Schwur an ihm gebrochen, sammt allen Gerichtspersonen
Marienhcims und geschworen, an seinem Sterbetag je Einem i
den Hals zu brechen. Unten in der tiefsten Zelle liege er
noch in einem schlottrigen Sarge, den er dazumal selbst ge-
zimmert habe. Darauf starb der Ebcrhardt. Die Raths-
herrcn eilten in den bezeichnetcn Kerker und fanden die un-
glaubliche Aussage bestätiget. Schaudernd rannten sic Alle
vor dem erschrecklichen Anblick hinweg.
Seit diesem Tage ist der Rathskeller verödet.
So habe ich die Geschichte des Jean Baptiste's hundert-
mal erzählen hören, selbst erzählt und auch in meine Historien
von Marienheim mit einigen erdenklichen Zusätzen acceptiret."
Der Schneider war zu Ende. Seine Erzählung hatte
mich seltsam ergriffen. Bald war sie mit seltsamen, längst
verschollenen Redensarten verziert gewesen, bald warm und
glühend wie ein Liebeshauch und dann wieder so gefällig und
trocken im Schrecklichen. Er war ein eigcnthümlicher Mensch.
Phantasmata!
Die Kerze war schon lange abgebrannt, der Mondschein
fiel hoch durch die tiefen Fcnstcrbogen herein und flimmerte
in den leeren Gläsern.
„Es ist schon spät," sagte der Schneider. „Ich denke,
wir gehen."
Und wir gingen.
Herzlose Theilnahmc.
Einer znm Andern: „Um das Sterben ist es doch j
etwas Hartes, wenn cs meine Frau nur schon überstan- ;
den hätte."
b
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Herzlose Theilnahme"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Kommentar
Signatur
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 47.1867, Nr. 1152, S. 43
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg