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Eine unheimli
über die stolze oon Selbstgefühl geschwellte Brust und den
dunkelgrünen Frack mit den glänzenden Knöpfen, verneigte sich
lächelnd und verließ den Salon. Er war ein schöner, junger
Mann aus der , creme der Gesellschaft"; ein halb spöttisches
bitt'res, halb wehmüthiges Lächeln flog über seine Züge, als
er leise murmelte: „Nun ist es ihr doch gelungen, möge sie im
Fegfeuer dafür braten, die alte, runzlige, verdammte Hexe!" —
Vier Tage war cs her, seit er beim Schäumen des Cham-
pagners bei der Soiree des Fürsten Mcckrenicht der aufdring-
lichen Freifrau Franziska von Franzensflug jene wohl etwas
übermüthigen Worte gesagt hatte, die nun den bevorstehenden
Zweikampf zur Folge hatten.
„Seien Sie nicht unartig, schöner Graf Ottokar!" flüsterte
damals die abgeliebte Schöne, „seien Sie nicht unartig, oder es
wird sich für mich ein Ritter finden!"
„Ein Ritter für Sie?" hatte er spöttisch im angeheiterten
Zustande geantwortet; „ich würde nie mit ihm kämpfen, denn
wir setzten durchaus nicht das Gleiche bei dem Kampfe ein,
— der Ritter für Sie hätte kein Hirn, das man ihm heraus-
schlagen könnte!"
Natürlich war die holde Freifrau flugs ohnmächtig ge-
worden. Natürlich hatte die reiche und einflußreiche Baronin
einen Ritter gefunden, natürlich war ihm dieser Ritter heut'
Abend vor der göttlichen Sylphide Melanie Zephanie Gräfin
von Schachtelhalm auf die ach so sensiblen — Fußendspitzen ge-
treten ; natürlich hatte er mit unterdrückter Donnerstimme ganz
wüthend: „Parrrdon!" geschrieen und Mühe gehabt, sich zu
beherrschen, daß er nicht auf einem Fuße zu tanzen begann.
Natürlich waren herbe Worte gefallen, ja „ creme de la creme “
hatte sich gegenseitig einen elenden „Demokraten" genannt!
Luitpold, der galante Ritter und Rächer der Freifrau von
Franzensflug war davon durchdrungen, daß Blut fließen mußte.
Von den Personen, die ihr Gespräch mit angehört hatten, lie-
ßen sie sich das Wort geben, zu schweigen; kehrten auf eine
Teur de valse in den Saal zurück, und fuhren dann nach
Hause, ihr Testament zu machen.
Wenige Stunden später trafen sie sich wieder in einer
stillen Au, nahe der Residenzstadt.
Secundanten zählten die Schritte ab, markirten die Stand-
j punkte, 'luden die Pistolen, und der Feldschecr öffnete das
! Kästchen mit dem Verbandzeug. — —
Andres! Thymian war ein Hirtenknabe. Sein strohgelber
> Kopf lagerte sanft und friedlich auf seiner Hand, sowie diese
mit dem übrigen langen Körper des Burschen ans der grünenden
: Erde unter den Weidenbüschen. Andres! Thymian lag auf dem
! Bauch und die Sonne bcschien ihm den Rücken. Während
i er pflichtvergessen schlief, wandelten seine thcurcn Ziegen am
fernen Raine hin und benagten die jungen Obstbäume des ehr-
samen Bürgermeisters vom nächsten Dorfe.
Auf einmal fuhr er jäh aus dem Schlafe auf, rieb sich
hastig die Augen und fuhr entsetzt zurück, — denn eben knallte
der zweite Schuß. —
Die Herren standen im finstern Ernst einander gegenüber.
che Geschichte.
— einige Worte wurden gesprochen — die Secundanten
schickten sich eben an, zum zweiten Male zu laden — als der
Andres! sich so weit ermunterte, um den großen Knittel zu
fassen, der neben ihm auf dem Boden lag, hervorzustürzen, und
sofort „ohne Wahl" auf *creme de la creme “ einzuhaucn.
.„Jessas, dö schiaßen auf meine Gasböck'!" schrie er.
Die Ueberraschung war grenzenlos, die Schnelligkeit des
Andres! furchtbar, die Schläge entsetzlich, die hageldicht in ziem-
lich gleicher Vertheilung niederfielen.
Herr Luitpold, Baron von Scharfenkling und Bärenwalde-
Puffenknall lief so schnell, als ihn seine Füße nur tragen moch-
ten. Ihm nach, vor Wuth brüllend, der stürmische Andres!
Thymian. „I' dcrwisch Di' schon, Du Räuber!" schrie er,
„Himmelherrgottsacrament!" —
Ottokar von Tigcrhcrz sah düster ihnen nach — »och
lange, lange, bis sie seinen Blicken entschwunden waren. Er sah den
keuchenden Luitpold, den unermüdlichen Andres!, bis die fernen
Bäume sie seinen Blicken entzogen; dann rieb er sich heftig
die angcschwollenen Striemen, und schaute noch düsterer nach
den entflohenen Freunden aus — — Freifrau Franziska von
Franzensflug starb ungerächt. . .!
Und was hätte der lange Andres! auch davon denken
sollen, da cr's knallen hörte und die Herren mit den Pistolen
stch'n sah? — Wild gab's in der Gegend nicht, das wußte er
am besten, also sah'» offenbar die Herren in ihrer Dumm-
heit seine Gasböck' für solches an, und das wollte er ihnen
schon austrciben! — H. Blechner.
U ncrgründlich.
Ein Räthscl ist das Menschenscin,
Kein Grübler denkt es aus:
Jung lebt in Freuden man hinein.
Aus Schmerzen alt hinaus! Asimr Blumeulhiil.
Eine unheimli
über die stolze oon Selbstgefühl geschwellte Brust und den
dunkelgrünen Frack mit den glänzenden Knöpfen, verneigte sich
lächelnd und verließ den Salon. Er war ein schöner, junger
Mann aus der , creme der Gesellschaft"; ein halb spöttisches
bitt'res, halb wehmüthiges Lächeln flog über seine Züge, als
er leise murmelte: „Nun ist es ihr doch gelungen, möge sie im
Fegfeuer dafür braten, die alte, runzlige, verdammte Hexe!" —
Vier Tage war cs her, seit er beim Schäumen des Cham-
pagners bei der Soiree des Fürsten Mcckrenicht der aufdring-
lichen Freifrau Franziska von Franzensflug jene wohl etwas
übermüthigen Worte gesagt hatte, die nun den bevorstehenden
Zweikampf zur Folge hatten.
„Seien Sie nicht unartig, schöner Graf Ottokar!" flüsterte
damals die abgeliebte Schöne, „seien Sie nicht unartig, oder es
wird sich für mich ein Ritter finden!"
„Ein Ritter für Sie?" hatte er spöttisch im angeheiterten
Zustande geantwortet; „ich würde nie mit ihm kämpfen, denn
wir setzten durchaus nicht das Gleiche bei dem Kampfe ein,
— der Ritter für Sie hätte kein Hirn, das man ihm heraus-
schlagen könnte!"
Natürlich war die holde Freifrau flugs ohnmächtig ge-
worden. Natürlich hatte die reiche und einflußreiche Baronin
einen Ritter gefunden, natürlich war ihm dieser Ritter heut'
Abend vor der göttlichen Sylphide Melanie Zephanie Gräfin
von Schachtelhalm auf die ach so sensiblen — Fußendspitzen ge-
treten ; natürlich hatte er mit unterdrückter Donnerstimme ganz
wüthend: „Parrrdon!" geschrieen und Mühe gehabt, sich zu
beherrschen, daß er nicht auf einem Fuße zu tanzen begann.
Natürlich waren herbe Worte gefallen, ja „ creme de la creme “
hatte sich gegenseitig einen elenden „Demokraten" genannt!
Luitpold, der galante Ritter und Rächer der Freifrau von
Franzensflug war davon durchdrungen, daß Blut fließen mußte.
Von den Personen, die ihr Gespräch mit angehört hatten, lie-
ßen sie sich das Wort geben, zu schweigen; kehrten auf eine
Teur de valse in den Saal zurück, und fuhren dann nach
Hause, ihr Testament zu machen.
Wenige Stunden später trafen sie sich wieder in einer
stillen Au, nahe der Residenzstadt.
Secundanten zählten die Schritte ab, markirten die Stand-
j punkte, 'luden die Pistolen, und der Feldschecr öffnete das
! Kästchen mit dem Verbandzeug. — —
Andres! Thymian war ein Hirtenknabe. Sein strohgelber
> Kopf lagerte sanft und friedlich auf seiner Hand, sowie diese
mit dem übrigen langen Körper des Burschen ans der grünenden
: Erde unter den Weidenbüschen. Andres! Thymian lag auf dem
! Bauch und die Sonne bcschien ihm den Rücken. Während
i er pflichtvergessen schlief, wandelten seine thcurcn Ziegen am
fernen Raine hin und benagten die jungen Obstbäume des ehr-
samen Bürgermeisters vom nächsten Dorfe.
Auf einmal fuhr er jäh aus dem Schlafe auf, rieb sich
hastig die Augen und fuhr entsetzt zurück, — denn eben knallte
der zweite Schuß. —
Die Herren standen im finstern Ernst einander gegenüber.
che Geschichte.
— einige Worte wurden gesprochen — die Secundanten
schickten sich eben an, zum zweiten Male zu laden — als der
Andres! sich so weit ermunterte, um den großen Knittel zu
fassen, der neben ihm auf dem Boden lag, hervorzustürzen, und
sofort „ohne Wahl" auf *creme de la creme “ einzuhaucn.
.„Jessas, dö schiaßen auf meine Gasböck'!" schrie er.
Die Ueberraschung war grenzenlos, die Schnelligkeit des
Andres! furchtbar, die Schläge entsetzlich, die hageldicht in ziem-
lich gleicher Vertheilung niederfielen.
Herr Luitpold, Baron von Scharfenkling und Bärenwalde-
Puffenknall lief so schnell, als ihn seine Füße nur tragen moch-
ten. Ihm nach, vor Wuth brüllend, der stürmische Andres!
Thymian. „I' dcrwisch Di' schon, Du Räuber!" schrie er,
„Himmelherrgottsacrament!" —
Ottokar von Tigcrhcrz sah düster ihnen nach — »och
lange, lange, bis sie seinen Blicken entschwunden waren. Er sah den
keuchenden Luitpold, den unermüdlichen Andres!, bis die fernen
Bäume sie seinen Blicken entzogen; dann rieb er sich heftig
die angcschwollenen Striemen, und schaute noch düsterer nach
den entflohenen Freunden aus — — Freifrau Franziska von
Franzensflug starb ungerächt. . .!
Und was hätte der lange Andres! auch davon denken
sollen, da cr's knallen hörte und die Herren mit den Pistolen
stch'n sah? — Wild gab's in der Gegend nicht, das wußte er
am besten, also sah'» offenbar die Herren in ihrer Dumm-
heit seine Gasböck' für solches an, und das wollte er ihnen
schon austrciben! — H. Blechner.
U ncrgründlich.
Ein Räthscl ist das Menschenscin,
Kein Grübler denkt es aus:
Jung lebt in Freuden man hinein.
Aus Schmerzen alt hinaus! Asimr Blumeulhiil.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine unheimliche Geschichte"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 63.1875, Nr. 1569, S. 54
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg