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Blaue

zu kaufen, und in derselben, gleich dem Diogenes, über die Ver-
irrungen des menschlichen Geistes nachzudenken. Der Philolog
sagte nichts, sondern dachte darüber nach, welches von de» neun-
zehn Versmaßen des Horaz wohl am geeignetsten zu einer Trauer-
odc an Delius „den Verlorenen" sein würde. —

Anna, die an der Nähmaschine fleißig arbeitete, hatte ihre
Augen so aufmerksam auf ihre Arbeit geheftet, daß sie den aus
dem Gasthause znrückkchrcnden Delius nicht an ihrem Fenster
Vorbeigehen gesehen hatte. — „Herein!" sagte sic, ihr Gesicht
erhebend, mit klarer, reiner Stimme, als sic Jemand an ihrer
Thür klopfen hörte. Diese öffnete sich, und der Professor Delius
trat in das Zinimer. Er verbeugte sich achtungsvoll und näherte
sich Anna, die, sich von ihrem Sitze erhebend, ihre Augen halb
ängstlich erwartungsvoll, halb bittend auf ihn richtete. Der
Professor war so verlegen, daß er kein Wort hervorbringen
konnte. Erst als er die sanften Züge Anna's betrachtete, die
ihn, als sie seine Verlegenheit bemerkte, freundlich und vertrauen-
erweckend anblickte, faßte er den Muth, seine Nachbarin und
Wohlthäterin anzuredcn.

„Fräulein," so begann er mit gepreßter Stimme, „ich hatte
ursprünglich die Absicht, Ihnen meinen tief und aufrichtig
empfundenen Dank für alles Gute, was Sie mir gethan haben,
auszusprcchcn, und Sie zugleich um Ihre Verzeihung zu bitten
j für all die Rücksichtslosigkeit, mit der ich Ihnen gegenüber leider
stets aufgetreten bin. Wenn es mir in diesem Augenblicke un-
möglich ist, meine Absicht zu verwirklichen, so bitte ich Sie,

| nicht mich dafür verantwortlich zu machen, sondern mein Un-
j vermögen lediglich der Größe Ihrer mir erwiesenen Wohlthaten
zuzuschrcibcn."

Delius hatte so aufrichtig und ehrlich gesprochen, daß auch
Anna Muth faßte.

„ Sprechen Sic nicht von erwiesenen Wohlthaten," sagte sic
lächelnd. „Ich bin Ihnen vielmehr tief zu Tank verpflichtet,

! Herr Professor, daß Sic mir gestattet haben, vielleicht ein ganz
Weniges zu Ihrer Erheiterung und Zerstreuung während Ihrer
Krankheit, die mich so sehr schmerzlich berührt hat, beitragen
zu können. Was den Punkt des Vcrzcihcns betrifft," fuhr

Anna fort, indem wieder für einen Augenblick ein fröhliches,
fast schelmisches Lächeln aus ihren blauen Augen leuchtete, „so
bin ich vielmehr genöthigt, Ihre Verzeihung in einer, wie ich
weiß, sehr wichtigen Angelegenheit erbitten zu müssen."

Der Professor sah die Sprechende verwundert und ungläubig an.

„Ja," begann Anna, die dies bemerkte, auf's Neue, „ich
habe mich allerdings eines recht schweren Vergehens gegen Sic
schuldig gemacht. Sic können es entweder Diebstahl oder doch
widerrechtliche Vorcnthaltung eines Ihnen gehörigen, sehr werth-
vollen Gegenstandes nennen. Möchten doch meine Reue und
mein Vorsatz, Ihnen das so lange Verheimlichte sofort zurück-
zucrstatten, in Ihren Augen als mildernde Umstände gelten und
Sic zur Verzeihung um so geneigter machen!"

Sic trat an einen Schrank, öffnete eines der Fächer desselben
und machte sich dann dort anscheinend mit großer Sorgfalt zu
schaffen, während der Profeffor crwarbingsvoll und freundlich
auf das schlanke Mädchen blickte, das seine Augen aufmerksam

Augen.

auf einen dem Professor noch unsichtbaren Gegenstand gerichtet
hielt und dabei so wichtig und ernsthaft aussah, als handle cs
sich um eine Königskronc oder "um ein Juwel von unschätzbarem
Werthe. Endlich überreichte sie dem Professor ein zierlich ge-
flochtenes Körbchen und bat ihn, den Inhalt desselben als sein
Eigenthum an sich zu nehmen. Zögernd entfernte Delius eine
Hülle von weißem, seidenen Flor, die über das Körbchen ge-
breitet war, und ein Ruf der Freude und der Ueberraschung
entfloh seinen Lippen, denn er sah in dem Körbchen auf einem
seidenen, von Anna kunstfertig gestickten Kissen seinen, mit dem
Porträt seines Vaters gezierten Pfeifcnkopf wirklich und wahr-
haftig liegen. Anna hatte au dem bekannten Unglückstage die
Scherben des Kopfes sorgfältig gesammelt, und dieselben künst-
lich kitten lassen. Der Professor war vor Freude und Dank-
barkeit keines Wortes fähig, als er Anna's Hand ergriff und
ihr mit dem Ausdruck unendlicher Innigkeit in die Augen sah. —

Und als das Laub der Bäume sich herbstlich zu färben
begann, und der Himmel voll düsterer, grauer Wolken hing,
und die kalten Herbststürinc tobten, da spiegelte sich der Professor
Rcinhold Delius, um das garstige Wetter unbekümmert, in dem
ungetrübten Himmel des Frühlings der Liebe, in Anna's, ihm
nun für immer gehörigen, blauen Augen.

Fortschritt der wissenschaftlichen Erkcnntniß.

„Des Menschen Erschaffung ist leerer Wahn,

Der Mensch kommt her vom Affen!"

„Woher aber stammt der Affe dann?"

„Die Frage ist possierlich!

Der Affe ward natürlich
Von unscrm Herrgott erschaffen."

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Blaue Augen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Spitzer, Emanuel
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Korb
Verlieben
Händedruck <Motiv>
Hochschullehrer <Motiv>
Tisch <Motiv>
Gespräch <Motiv>
Karikatur
Liebe <Motiv>
Junge Frau <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Fliegende Blätter, 63.1875, Nr. 1584, S. 171

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