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Dic Stiefel nls Lebensretter.
dazu, o Grausen! soff mir der Barbar den ganzen Spiritus
aus, in dem ich dic bisher gemachten Präparate verwahrt, diese
so nebenbei mit hinunterschluckend. Jetzt erst kam er ans mich
zu, befühlte mich von allen Seiten und versuchte, mir den Rock
auszuziehen; — es gelang, und im Nu hatte ich jetzt nichts
mehr am Leibe, als meine Stiefel. Diese schien man jeden-
falls als einen Theil meines Jch's zu betrachten. Aus der
Bewunderung, mit der man mich, und besonders aber meine Fuß-
bekleidung, betrachtete und betastete, ersah ich gleich, daß diese
Hallunken von einem weißen Menschen noch nie etwas gehört,
geschweige denn einen gesehen hatten, besonders aber von der
Existenz eines Stiefels nicht dic geringste Idee besaßen.
Ich glaubte, nun werde man mich doch mit dem Leben
laufen lassen und war deßhalb nicht wenig froh, wenigstens
meine Schuhe behalten zu dürfen — aber es sollte anders
kommen. Noch einmal trat dieser gefräßige Wüthcrich herzu,
diesmal mich ans das Genaueste von allen Seiten untersuchend,
und er schien zufrieden mit mir, denn mit freundlichem Grinsen
rief er einem der Umstehenden etwas zu. Der eilte fort und
bald darauf kamen unter seiner Anführung einige Andere, dic
ein sonderbares Vehikulnm - es sah ans wie eine Hühnersteige
auf Rädern — hinter sich herschleppten, in das ich mich, ehe
ich nur daran dachte, eingeschlossen sah.
Jetzt stellen Sic sich einmal vor, meine Herren, ein Doktor
der Medizin in einer Hühnersteigc! Ich dachte hin und her,
welchen denkbar vernünftigen Grund dies wohl haben könne,
— cs blieb mir ein Räthsel.
Bald darauf kam eine schmierige Alte, meine Wärterin,
wie ich wohl glauben mußte, und brachte mir mein Essen und
einen Krug Wasser. So unappetitlich jenes auch war, leerte
ich doch, von Hunger getrieben, die Schüssel und sogleich brachte
sie mir eine zweite Portion, sichtlich erfreut über meinen Appetit.
Jetzt aber hatte ich genug und begann nun mittelst Zeichen dic
Alte über den Zweck dieser sonderbaren Vorrichtungen zu be-
fragen. Lange bedurfte cs, bis wir uns verständigten, dann
aber standen mir vor Entsetzen die Haare zu Berge. Der
Häuptling hatte gefunden, daß ich Anlagen zum Fettwerden
besäße und deßhalb beschlossen, mich sehr gut zu füttern, um
mich dann seinerzeit nls besonderen Leckerbissen zu verzehren.
Weil der Stamm aber bald da, bald dorthin wanderte, so
besaß man für dergleichen Todeskandidaten dieses cigenthümliche
Vehikulnm. Also Afrika sollte ich auf diese Art kennen lernen,
sollte mit so bequemer Gelegenheit durch seine Urwälder, seine
Sümpfe reisen, um schließlich — gefressen zu werden. Ich
versuchte alle Auswege, ich »rächte sogar der Alten eine Liebes-
erklärung und einen Heirathsantrag — vergebens. Wäre ich
ei» Schwarzer gewesen, cs hätte gewirkt, aber einen Weißen
hatte man noch nie gefressen, ein solcher Leckerbissen war zu
vielversprechend.
Armer Doktor der Medizin; so >vcit also hatte ich es
durch meinen Wissensdrang gebracht!
So sehr ich mich auch grämte, fühlte ich doch, wie ich
Tag für Tag znnahm an Fleisch und Fett.
Nahrung wurde mir in solcher Menge gereicht, daß id
sic kaum wegzuessen vermochte, und doch mußte ich es, denn
wenn ich diese meine einzige Pflicht nicht pünktlich erfüllte, pflegtc
mich dieser Menschenfresser-Häuptling höchst eigenhändig durch-
znprügeln. Im Uebrigen schien er mit mir sehr zufrieden.
Schmunzelnd betastete er meine Lenden, dic täglich voller wurden
ja er brachte mir wohl eigenhändig irgend eine seiner Delikw
testen, eine Feldmaus, oder einen Holzwurm, oder eine Eidechse,
oder was sonst dergleichen, und schien nur lebhaft zu bedauern,
daß er mir seinerzeit nicht auch mit einem Stück meines eigenen
Fleisches anfwarten könne. Ich hatte inzwischen auch Einiges vor
der Sprache des Stammes sprechen gelernt und so wäre meine
Situation eine ganz erträgliche, ja was die Bequemlichkeiten
der Reise anbelangt, sogar eine recht behagliche gewesen, hätte
nicht meine entsetzliche Zukunft mir stets vor Augen geschwebt
Doch auch bezüglich dieser kam mir ein rettender Gedanke, und
nun auch auf dieser Seite Hoffnung schöpfend, sing ich an, der
ganzen Sache Gefallen abzugcwinncn. Mein Tagebuch hatb
mir der Oberbarbar, als für ihn unbrauchbar, wieder gegeben
und so schrieb und zeichnete ich und machte meine Beobachtungen.
Etwa ein Jahr mochte ich so herumgereist sein, als wir
wieder ans die Stelle zurückkamen, rvo man mich zum Gefangener
gemacht hatte. Ich war mittlerweile aus einem klapperdürrer
Doktoranden ein ganz behäbiger Doktor geworden. Dies schier
aber auch mein Häuptling zu fühlen, denn eines Tages öffnete
sich die Thüre meines Kerkers und mein Barbar setzte mir ganz
gcmüthlich auseinander, ich sei nun wohlgenährt genug, um
von ihm verspeist zu werden. Vergebens stellte ich ihm vor
wir Weißen seien unendlich zähe und ganz ungenießbar. „Wenn
mein Bruder so zähe ist, wie er sagt, dann lvill ich keiner.
Weißen mehr essen — einen aber muß ich kosten", war Alles,
was er cntgcgnetc. ...
Dic Stiefel nls Lebensretter.
dazu, o Grausen! soff mir der Barbar den ganzen Spiritus
aus, in dem ich dic bisher gemachten Präparate verwahrt, diese
so nebenbei mit hinunterschluckend. Jetzt erst kam er ans mich
zu, befühlte mich von allen Seiten und versuchte, mir den Rock
auszuziehen; — es gelang, und im Nu hatte ich jetzt nichts
mehr am Leibe, als meine Stiefel. Diese schien man jeden-
falls als einen Theil meines Jch's zu betrachten. Aus der
Bewunderung, mit der man mich, und besonders aber meine Fuß-
bekleidung, betrachtete und betastete, ersah ich gleich, daß diese
Hallunken von einem weißen Menschen noch nie etwas gehört,
geschweige denn einen gesehen hatten, besonders aber von der
Existenz eines Stiefels nicht dic geringste Idee besaßen.
Ich glaubte, nun werde man mich doch mit dem Leben
laufen lassen und war deßhalb nicht wenig froh, wenigstens
meine Schuhe behalten zu dürfen — aber es sollte anders
kommen. Noch einmal trat dieser gefräßige Wüthcrich herzu,
diesmal mich ans das Genaueste von allen Seiten untersuchend,
und er schien zufrieden mit mir, denn mit freundlichem Grinsen
rief er einem der Umstehenden etwas zu. Der eilte fort und
bald darauf kamen unter seiner Anführung einige Andere, dic
ein sonderbares Vehikulnm - es sah ans wie eine Hühnersteige
auf Rädern — hinter sich herschleppten, in das ich mich, ehe
ich nur daran dachte, eingeschlossen sah.
Jetzt stellen Sic sich einmal vor, meine Herren, ein Doktor
der Medizin in einer Hühnersteigc! Ich dachte hin und her,
welchen denkbar vernünftigen Grund dies wohl haben könne,
— cs blieb mir ein Räthsel.
Bald darauf kam eine schmierige Alte, meine Wärterin,
wie ich wohl glauben mußte, und brachte mir mein Essen und
einen Krug Wasser. So unappetitlich jenes auch war, leerte
ich doch, von Hunger getrieben, die Schüssel und sogleich brachte
sie mir eine zweite Portion, sichtlich erfreut über meinen Appetit.
Jetzt aber hatte ich genug und begann nun mittelst Zeichen dic
Alte über den Zweck dieser sonderbaren Vorrichtungen zu be-
fragen. Lange bedurfte cs, bis wir uns verständigten, dann
aber standen mir vor Entsetzen die Haare zu Berge. Der
Häuptling hatte gefunden, daß ich Anlagen zum Fettwerden
besäße und deßhalb beschlossen, mich sehr gut zu füttern, um
mich dann seinerzeit nls besonderen Leckerbissen zu verzehren.
Weil der Stamm aber bald da, bald dorthin wanderte, so
besaß man für dergleichen Todeskandidaten dieses cigenthümliche
Vehikulnm. Also Afrika sollte ich auf diese Art kennen lernen,
sollte mit so bequemer Gelegenheit durch seine Urwälder, seine
Sümpfe reisen, um schließlich — gefressen zu werden. Ich
versuchte alle Auswege, ich »rächte sogar der Alten eine Liebes-
erklärung und einen Heirathsantrag — vergebens. Wäre ich
ei» Schwarzer gewesen, cs hätte gewirkt, aber einen Weißen
hatte man noch nie gefressen, ein solcher Leckerbissen war zu
vielversprechend.
Armer Doktor der Medizin; so >vcit also hatte ich es
durch meinen Wissensdrang gebracht!
So sehr ich mich auch grämte, fühlte ich doch, wie ich
Tag für Tag znnahm an Fleisch und Fett.
Nahrung wurde mir in solcher Menge gereicht, daß id
sic kaum wegzuessen vermochte, und doch mußte ich es, denn
wenn ich diese meine einzige Pflicht nicht pünktlich erfüllte, pflegtc
mich dieser Menschenfresser-Häuptling höchst eigenhändig durch-
znprügeln. Im Uebrigen schien er mit mir sehr zufrieden.
Schmunzelnd betastete er meine Lenden, dic täglich voller wurden
ja er brachte mir wohl eigenhändig irgend eine seiner Delikw
testen, eine Feldmaus, oder einen Holzwurm, oder eine Eidechse,
oder was sonst dergleichen, und schien nur lebhaft zu bedauern,
daß er mir seinerzeit nicht auch mit einem Stück meines eigenen
Fleisches anfwarten könne. Ich hatte inzwischen auch Einiges vor
der Sprache des Stammes sprechen gelernt und so wäre meine
Situation eine ganz erträgliche, ja was die Bequemlichkeiten
der Reise anbelangt, sogar eine recht behagliche gewesen, hätte
nicht meine entsetzliche Zukunft mir stets vor Augen geschwebt
Doch auch bezüglich dieser kam mir ein rettender Gedanke, und
nun auch auf dieser Seite Hoffnung schöpfend, sing ich an, der
ganzen Sache Gefallen abzugcwinncn. Mein Tagebuch hatb
mir der Oberbarbar, als für ihn unbrauchbar, wieder gegeben
und so schrieb und zeichnete ich und machte meine Beobachtungen.
Etwa ein Jahr mochte ich so herumgereist sein, als wir
wieder ans die Stelle zurückkamen, rvo man mich zum Gefangener
gemacht hatte. Ich war mittlerweile aus einem klapperdürrer
Doktoranden ein ganz behäbiger Doktor geworden. Dies schier
aber auch mein Häuptling zu fühlen, denn eines Tages öffnete
sich die Thüre meines Kerkers und mein Barbar setzte mir ganz
gcmüthlich auseinander, ich sei nun wohlgenährt genug, um
von ihm verspeist zu werden. Vergebens stellte ich ihm vor
wir Weißen seien unendlich zähe und ganz ungenießbar. „Wenn
mein Bruder so zähe ist, wie er sagt, dann lvill ich keiner.
Weißen mehr essen — einen aber muß ich kosten", war Alles,
was er cntgcgnetc. ...
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Stiefel als Lebensretter"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1882
Entstehungsdatum (normiert)
1877 - 1887
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 76.1882, Nr. 1902, S. 10
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg