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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 37.1921-1922

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Pfister, Kurt: Lukas Cranach
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https://doi.org/10.11588/diglit.14154#0007

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LUKAS CRANACH

Von den deutschen Malern, die um die
Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert
schufen, ist Lukas Cranach vielleicht der
volkstümlichste. Und dennoch ist Persönlich-
keit und Werk vieldeutig und umstritten und
gerade heute jeglichem, auch dem schärfsten
Urteil preisgegeben.

Man wertet Dürer als den deutschen Mei-
ster, obschon man freilich weit mehr sein reifes,
auf den Kanon klassischer Schönheit hinzie-
lendes Werk denn die wundervollen Schöpfun-
gen seiner „gotischen" Jugend, die Aquarelle,
die Apokalypse und die Große Passion kennt.

Man rühmt Holbein als Meister des Bild-
nisses und Maler der Renaissance, ohne daß
man immer um seine Stelle im Raum der
nordischen abendländischen Geistigkeit wüßte,
die darin ihren Grund hat, daß er der gotisch-
barocken die klare und in sich ruhende Bild-
form, der religiösen Metaphysik des Mittel-
alters, die Rembrandt dann wieder aufnahm, die
Eindeutigkeit eines durchaus diesseitig gegrün-
deten Weltbildes entgegenstellte. Auch Grüne-
walds von Überschwang und Inbrunst erfüllte
Gestalt, die die Welle einer zeitgenössischen
Künstlerbewegung, die ihr eigenes Streben dem
seinen verwandt glaubte, zu uns trug, wächst
eindeutig und stark aus dem Boden der Zeit *).

Was aber bedeutete Cranach den Menschen
jener Zeiten und was kann er uns sein ?

Mit seinem Namen wird die Erinnerung an
die Zeit und die führenden Männer der Refor-
mation, deren Bild er immer wieder malte
und schnitt, lebendig; und daneben taucht
die kaum übersehbare Schar jener feinen und
schlanken, mit dünnen Schleiern oder gar
nicht bekleideten Schönen auf, — gleichgültig,
ob sie Lukrezia, Venus, Eva heißen, — die
er in vielfachen Verwandlungen wieder und
wieder gemalt hat.

In diesem Umkreis bewegt sich die Vor-
stellung, die die Zeitgenossen und die Jahr-
hunderte von der Kunst des Lukas Cranach
mit sich tragen. In unsern Tagen hat man
den „jungen Cranach" entdeckt, der ganz
andere Dinge geschaffen hat: leidenschaftliche
Kreuzigungen, harte erregte Holzschnitte und
sehr sensible naturinnige Zeichnungen.

*) Die geistige Situation bei der Wende vom 15. zum
16. Jahrhundert, in manchem vielleicht heutigen Bewegungen
verwandt, kann hier nur ganz ungefähr angedeutet werden.
Ich muß mich auf meine Bücher: „Holbein", „Der junge
Dürer", „Die primitiven Holzschnitte" berufen.

Man darf nicht übersehen, daß sein Leben
einen Raum von mehr denn achtzig Jahren
umspannt. Er wurde 1472 geboren und starb
I553- Da er 1505 als Hofmaler in kursäch-
sische Dienste trat, feierte man in Wittenberg
noch die römisch-katholische Messe ; und zwei
Jahrzehnte später war Luthers Lehre dort
allen geläufig. In den Jahren seiner Jugend
geschehen in spätgotischen Domen, Bildern
und Skulpturen die letzten brennenden Wunder
des ausgehenden Mittelalters ; und acht Jahre,
bevor er starb, eröffnete die Kirche das Triden-
tiner Konzil, von dem die gewaltige Bewegung
der Gegenreformation ausging. Die Kriege
Karl V. mit Frankreich, die Bauernaufstände,
der schmalkaldische Bürgerkrieg tobten, Martin
Luthers und des Rotterdamer Erasmus Arbeit
wühlten den halben Erdkreis auf, im Norden
schufen (um nur diese zu nennen) Grünewald,
Holbein, Dürer, im Süden wölbte Michelangelo
die Kuppel von St. Peter und zerbrach in
fanatischem Ringen die klassische Form.

Derweilen saß Cranach, der Hofmaler, in
Wittenberg, malte, von einer wohlorganisier-
ten Werkstatt unterstützt, in unabsehbaren
Reihen Altarbilder, Bildnisse und pikante
Nuditäten; besaß etliche Häuser, eine in
Massen produzierende Druckerei, eine Apotheke,
eine Frau und ein Rudel pausbäckiger Kinder,
die teilweise im väterlichen Betrieb mitarbeiteten.

Er bekannte sich zum Luthertum, aber
doch wohl, weil das unter dem Schutze seines
evangelischen Landesherrn ohne Gefahr und
für sein weiteres Fortkommen förderlich war
— im übrigen verkaufte er ebensogern an die
Päpstlichen, etwa den heftigsten Feind Luthers,
den Kardinal Albrecht von Brandenburg, wie
an die Lutherischen, und nahm geschmeichelt
das Lob des erbittertsten Gegners seines
Landesherrn, Karl V., entgegen.

Die großen Geister der Zeit verzehrten sich
im Dienst der Idee, an die sie glaubten, mochte
sie Luther, Katholizismus, Humanismus heißen,
aber Cranach ließ sich von den Bequemlich-
keiten, Launen und Vorteilen einer Stunde
treiben.

Der schwankenden Gesinnung verbindet
sich eine Begabung von ungewöhnlicher Art
und Breite.

Gerade aus den Bildern der Jugend bricht
ein echter Strom jener leidenschaftlicher Pa-
thetik, die im Isenheimer Altar einen unver-

Die Kunst füj Alle. XXXVII. Oktober 192t

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