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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Biernatzki, Johannes: Die neuen Schachsteine
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0245

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Johannes Hirsch, Hamburg

Entwurf und Ausführung neuer Schachfiguren

DIE NEUEN SCHACHSTEINE

UHLAND schildert in einem längeren Gedicht,
wie der junge Goethe das Dornröschen des
deutschen Liedes wachgeküßt. Es war also
schon da, es schlummerte nur. Das ist typisch. In
der Seele des deutschen Volkes schlummert noch vieles
andere Edelgut, das nur der Stunde der Befreiung
harrt, es mag nun unter Dornen oder Decken sein.
Denn es gibt mancherlei Bindungen. Eine der sanf-
testen und doch festeten war für die deutsche Volks-
seele von jeher das Wort Internationalität. Unfehlbar
schlief sie unter diesem Zaubersange ein, da er doch
meistens für uns nur bedeutete, daß wir im Schlepp-
tau einer andern Nation zu fahren hätten.

So war es jedenfalls auf dem für unser Kunstge-
werbe nicht ganz gleichgültigen Gebiet der Schach-
spielindustrie. Tatsächlich sind seit einem halben
Jahrhundert bei uns nur die bekannten in Frankreich
hergestellten Figuren üblich gewesen, die an ein aus-
gesprochen englisches Muster (Staunton) gebunden
waren, und noch vor reichlich sieben Jahren hat der

Bundesvorstand deutscher Schachvereine diese Form
und dieses Fabrikat bei uns legitimiert. Das war denn
unsere Internationalität.

Doch ich muß etwas weiter ausholen. Was man
in Spanien aus der Erde grub, wo vor nun 1000 Jahren
die Araber dies Weltspiel Westeuropa übermittelten,
sind nicht »Figuren«, sondern Sch&chsteine, Klötze,
gut anzupacken, würfelförmig, mit Andeutung der
Unterscheidungsmerkmale. Vergleiche auch, was im
Germanischen Museum steht. Daß daraus im Mittel-
alter förmliche Gestalten wurden, bewirkte die Sucht
nach Prunk und Mummenschanz. Das in so glorioser
Einfachheit erdachte rein mathematische Spiel, bei dem
es sich lediglich um Aufgaben der Planimetrie, um
Liniennetze, Bewegung in der Fläche handelt, ward
durch die Einkleidung, die man ihm gab, ganz über-
wuchert. Seltsamerweise hielt hieran die Neuzeit fest.
Was hat man nicht alles schon belebt! Bald mußten es
Chinesereien sein, Schlitzaugen im naturalistisch ausge-
führten Gesicht, bald indisierende Gestalten, die Türme

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