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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Simmel, Georg: Über die dritte Dimension in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0069

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IV.

Über die dritte Dimension in der Kunst.

Von

Georg Simmel.

Das Interesse des Malers, vermöge des bloßen Oberflächenbildes,
das er unmittelbar darbietet, die Anschauung auch der dritten Dimen-
sion zu erzeugen, ist keineswegs ein selbstverständliches Akzidens des
Wesens seiner Kunst. Indem einerseits die Japaner, anderseits Aubray
Beardsley auf die dritte Dimension verzichten, ist erwiesen, daß auch
ohne sie der gesteigertste Reiz sinnlicher Anschauung ebenso erreicht
werden kann, wie die äußersten Pole seelischen Ausdrucks: die
Frauen des Harunobu und des Utamaro, deren Seelen wie ihre Körper
im Sommerwind schaukelnde Blüten scheinen, und die abgründigen
Perversitäten und Satanismen des Beardsley. Weshalb also die dritte
Dimension? Die größere Vollständigkeit, mit der sich der Bildeindruck
dadurch dem Natureindruck nähert, kann nicht entscheidend sein. Denn
die Umbildung von diesem zu jenem bedeutet in jedem Fall eine so
umfassende Reduktion, der Zweck des Kunstwerks wird mit so viel
einfacheren Mitteln erreicht als die Natur sie zum Zustandekommen
des Realitätsbildes verwendet, daß ein bloßes hinzukommendes Wirk-
lichkeitsmoment noch nicht ohne weiteres als künstlerischer Wert
gelten kann; es muß sich als solcher vielmehr erst durch seine Qualität
legitimieren.

Die ganz besondere Bedeutung der Tiefendimension der Körper
gegenüber den beiden anderen muß sich ersichtlich daran knüpfen,
daß sie überhaupt nicht optisch anschaulich ist. Ursprünglich über-
zeugt uns nur der Tastsinn, daß die Körper noch mehr sind als ihre
zweidimensionale Oberfläche. Das Vollbild der Dinge, aus ihrer Sicht-
barkeit und ihrer Tastbarkeit zusammengewachsen, wird durch die
erstere reproduziert, so daß wir schließlich auch die dritte Dimension
unmittelbar zu sehen meinen. Da indes der Wirklichkeit gegenüber
das Tasten der Dinge fortwährend stattfindet und jenes assoziative
Hineinwirken seines Inhaltes in das Gesichtsbild dadurch dauernd
kontrolliert wird, mindestens prinzipiell kontrolliert werden kann — so
ist die dritte Dimension innerhalb des optischen Wirklichkeitsbildes
viel weniger an die bloße Anschauung geknüpft, als innerhalb des

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. I. 5
 
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