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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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Marzynski, Georg: Die impressionistische Methode
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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0094
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Bemerkungen.

Die impressionistische Methode.

Von

Georg Marzynski.

Die Frage nach der impressionistischen Methode gabelt sich in zwei Fragen:
Wie sieht der Impressionist die Welt, und wie gibt er die gesehene Welt wieder?
: Die impressionistische Technik des Sehens läßt sich in eine Folge von Re-
duktionen zerlegen. Der Rohstoff ist die Welt des gewöhnlichen Sehens, die durch
den Redulctionsvorgang eine sich steigernde Einengung erleidet. Die erste Rück-
führung macht aus dieser dreidimensionalen Welt eine zweidimensionale. Sie ist
die älteste und gebräuchlichste aller Reduktionen, jede nachahmende Malerei mußte
sie vornehmen, da sie eben nur flächenhaft abbilden kann. Physiologisch ausge-
drückt heißt das: Der Maler sieht die Welt so, wie sie bei Ruhigstellung der inneren
und äußeren Augenmuskeln erscheint. Das im Sehvorgang allmählich eintretende
Sehen wird auf das gleichzeitige Sehen reduziert.

Die zweite Reduktion unterdrückt die sogenannten Gedächtnisfarben. Ein
»weißes« Blatt Papier wird in jeder Beleuchtung und trotz aller farbigen Reflexe,
die auf ihm liegen, als weiß aufgefaßt, während es vielleicht gerade grünlich oder
violett aussieht. So hat jeder Gegenstand seine bestimmte Eigenfarbe, das Blatt ist
grün, die Zigarre braun, die kindliche Haut rosig, trotzdem sie in Wirklichkeit je
nach der Beleuchtung und je nach den Reflexen, die von ihrer farbigen Umgebung
her auf sie fallen, jedesmal verschieden aussehen. Grün, braun, rosig sind die »Ge-
dächtnisfarben« von Blatt, Zigarre, kindlicher Haut. Die Gedächtnisfarbe eines Gegen.
Standes ist gleich der Farbe, die er bei zerstreutem Sonnenlicht unter Fernhaltung
aller Reflexe annehmen würde. Ihre Entstehung wird verständlich, wenn man daran
denkt, daß ein weißes Papier und ein rotes zwar unter jeder Beleuchtung anders,
aber jedesmal sozusagen im gleichen farbigen Abstand erscheinen. Um die Aus-
sage zu machen: »dieses Papier ist weiß«, muß man erst die Fähigkeit erlangt haben,
dem jetzt vielleicht gerade grünlichen Papier anzusehen, wie es bei Normal-
beleuchtung aussehen würde, man muß gelernt haben, die Eigenschaftsfarbe von
der augenblicklichen Beleuchtung abzutrennen, sie unter der Beleuchtung zu er-
kennen. Die Gedächtnisfarbe ist also ein Erzeugnis de/ Erfahrung; ein eben
operierter Blindgeborener sieht das Papier nicht weiß, sondern in der Farbe, die
es gerade jetzt wirklich hat. Die zweite Reduktion nimmt der Erscheinung alle
assimilitativen Bestandteile, die aus der Erfahrung stammen, sie liefert die augen-
blicklich vorhandene farbige Erscheinung der Dinge.

Diese Abscheidung der assimilitativen Bestandteile ist nicht erst vom Impressio-
nismus geleistet worden. Er hat in dieser Hinsicht eine Menge von »Vorläufern«.
Was er für sich in Anspruch nehmen kann, ist allein die größere Folgerichtigkeit.
Nur der Impressionismus hat sich restlos von den Gedächtnisfarben freigemacht.

Die dritte Reduktion führt sämtliche Erscheinungsweisen der Farben in »Flächen-
 
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