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"Unter der GrasNarbe" <Veranstaltung, 2014, Hannover>; Schomann, Rainer [Editor]; Schormann, Michael Heinrich [Editor]; Wolschke-Bulmahn, Joachim [Editor]; Winghart, Stefan [Editor]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; VGH-Stiftung [Editor]; Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur [Editor]; Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Unter der GrasNarbe: Freiraumgestaltungen in Niedersachsen während der NS-Diktatur als denkmalpflegerisches Thema : Dokumentation der Tagung vom 26.-29. März 2014 in Hannover — Petersberg: Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG, Heft 45.2015

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Maybaum, Georg: Bild und Abbild der landschaftlichen Freiräume im Dritten Reich
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https://doi.org/10.11588/diglit.51271#0033
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Georg Maybaur 29
Bild und Abbild der landschaftlichen Freiräume im Dritten Reich

den Umschlag des Buches „Tödliche Utopie" entspre-
chend bebildert: Oben der idyllische Obersalzberg,
jubelnde Massen darunter, damit verschwimmend
Bilder vom verlorenen Krieg. Alle Erscheinungsfor-
men des »Tausendjährigen Reiches« sind so visuell
untrennbar miteinander verbunden und verwoben.
Michael Makropoulus hat es im Schlusssatz seines Bei-
trages „Die infrastrukturelle Konstruktion der .Volks-
gemeinschaft', Aspekte des Autobahnbaus im natio-
nalsozialistischen Deutschland" wie folgt formuliert:
„Die technisch forcierte und ästhetisch finalisierte
totalitäre Optimierung war die Kriegserklärung an die
Unvollkommenheit der Schöpfung; ihre ultima ratio ist
der Massenmord."66
Wenn Landschaft in unseren Köpfen entsteht, stellt
sich die Frage, wo und wie das totalitäre System des
Nationalsozialismus seine Deutungshoheit in diesem
Themenfeld manifestiert. Dies geschieht im Sinne
positiver Besetzung mit Hilfe von Ausstellungen und
Publikationen. Die Illustrierten aus Berlin greifen mit
Beiträgen wie „Richtungsgebende Werke für die
deutsche Kunst"67 die Thematik auf. Die „Großen
Deutschen Kunstausstellungen" zeigen ab 1937 in
München das, was gut und richtig ist.58 Verwoben da-
mit ist die Ausgrenzung des Andersartigen, des »Ent-
arteten«, wobei auch hier auf Publikationen und Aus-
stellungen, die erste öffnete ihre Pforten genau einen
Tag nach der Großen Deutschen Kunstausstellung in
den benachbarten Hofgartenarkaden,69 gesetzt wird.
Mit diesem Vorgehen wird die der Landschaft und
ihrem Bilde innewohnende Multiperspektivität70 auf-
gehoben und eine eingleisige, vereinheitliche Sicht-
weise erzwungen. Zwischen 1933 und 1945 haben
auch deshalb über 200 Fotografen die äußere und si-
cherlich viel mehr die innere Emigration gewählt.71 In
letzter Konsequenz werden die erklärten Gegner des
Regimes auch vom Sehen ausgeschlossen.
Dass es gerade die Alpenvereine Deutschlands und
Österreichs waren, welche frühzeitig den Juden die
Sicht auf die Berge mittels der Einführung von Arier-
paragraphen verweigerten, mag den alltäglichen,
rassistischen Zeitgeist besonders beleuchten.72 Der
Umstand, dass die Vereine teils unter jüdischer Beteili-
gung gegründet und von den Juden die Erwanderung
und Besteigung der Alpen als eine Möglichkeit der
Assimilation verstanden und erfolgreich genutzt wur-
de, half ihnen nicht. Mehr als alle anderen Gruppen
wurden sie beraubt, verfolgt und zum Arbeitseinsatz
rekrutiert.
Die Bauwut und die Gigantomanie der nationalsozia-
listischen Planungen mit dem schier endlosen Materi-
albedarf erzwangen die umfängliche Exploration von
Lagerstätten, deren Aufschluss und die sich anschlie-
ßende Ausbeutung von Mensch und Natur. Dürfen

wir uns insofern an der Fotografie „Arbeiter an der
Kehlsteinstraße"73 erfreuen oder sollten wir den Blick
auf die zahlreichen Steinbrüche, die so viele Wunden
hinterlassen haben, richten? Das Ölgemälde Erich
Merckers „Granitbrüche in Flossenbürg" (Abb. 10)
dokumentiert die Plackerei in künstlerischer, aber in
bemerkenswert distanzierter, sich auf die technischen
Vorgänge beschränkende Weise.74 Fotografien vom
gleichen Ort zeigen ein anderes, realistischeres Bild der
Natursteingewinnung: Vernichtung durch Arbeit.75
Können wir vor diesem Hintergrund die Naturstein-
bauten76 - wie die denkmalgeschützte Waschmühl-
talbrücke aus den Jahren 1935/37 an der Strecke
Mannheim - Kaiserslautern von Fritz Todt und Profes-
sor Paul Bonatz (Abb. 11) - unvoreingenommen be-
trachten und dabei auf die saubere, materialgerechte
Konstruktion und auf den Zeugniswert „des geistigen
und künstlerischen Schaffens und des handwerklichen
Wirkens ihrer Zeit"77 hinweisen, wie es noch in der
Denkmalbegründung von 1984 heißt? Sind ihre Äs-
thetik, die durchgestalteten Details, ihre bautechni-
sche Qualität für sich ein Denkmalwert?
Müssten wir nicht immer die Ambivalenz und My-
thenbildung bei solchen Bauwerken bedenken und
uns vergegenwärtigen, dass sich „hinter dem Schleier
der propagandistisch unterfütterten Bilder- und Le-
benswelt aus [...] Reichsautobahnbau und Siedler-
glück [...] die blanke Gewalt des realen Faschismus"78
verbarg?79 Paul Klee hat schon 1937 mit dem „Auf-
stand des Viaduktes", diesen in „rumpflos, kopflos,
breitspurig alles zerstampfende Beinpaare" aufgelöst,
seinen „Angstraum der unausweichlich auf [die Ge-
sellschaft ...] zuschreitende Gewalttat" der „braunen
Kohorten" bildlich gefasst.80
Die Verflechtungen
Bleiben unbeschadet der vorgenannten Denkmalwer-
te jene Orte, wo Hunderttausende »unter der Gras-
narbe« liegen, sei es unter den kleinen Hügeln in den
weiten Russlands oder auf den ungezählten Soldaten-
friedhöfen, letztendlich die Stellen, die uns im Inners-
ten am tiefsten berühren? Oder sind es die Massen-
gräber wie im rheinland-pfälzischen »Polizeihaft- und
Erziehungslager« Hinzert, eingerichtet von Dr.-Ing.
Fritz Todt für die der Arbeit an der Reichsautobahn
und am Westwall zwangsweise Zugeführten, mit den
im umliegenden Wald verstreuten Stätten der Un-
menschlichkeit, den Baracken, den Steinbrüchen und
den Hinrichtungsorten? Die Geschichte des SS-Son-
derlagers/KZ Hinzert wurde mit Blick auf die vorge-
nannten Fragen im Jahre 2009 im Rahmen des Projek-
tes »Grasnarbe«81 künstlerisch aufgearbeitet.
 
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