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"Unter der GrasNarbe" <Veranstaltung, 2014, Hannover>; Schomann, Rainer [Hrsg.]; Schormann, Michael Heinrich [Hrsg.]; Wolschke-Bulmahn, Joachim [Hrsg.]; Winghart, Stefan [Hrsg.]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; VGH-Stiftung [Hrsg.]; Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur [Hrsg.]; Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Unter der GrasNarbe: Freiraumgestaltungen in Niedersachsen während der NS-Diktatur als denkmalpflegerisches Thema : Dokumentation der Tagung vom 26.-29. März 2014 in Hannover — Petersberg: Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG, Heft 45.2015

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Geschwinde, Michael: Die Lübbensteine und die Planungen einer Thingstätte für Helmstedt im Dritten Reich
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https://doi.org/10.11588/diglit.51271#0121
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117

Michael Geschwinde
Die Lübbensteine und die Planungen einer Thingstätte
für Helmstedt im Dritten Reich

Die beiden in der zweiten Hälfte des 4. Jahrtausends v.
Chr. errichteten Megalithgräber „Lübbensteine" auf
dem St. Annenberg westlich von Helmstedt zählen zu
den bedeutendsten archäologischen Denkmalen des
Braunschweiger Landes. Ihre wechselvolle Geschich-
te und die glücklichen Umstände ihrer Errettung vor
drohender Zerstörung durch Intervention der dama-
ligen Helmstedter Universität sind mehrfach darge-
stellt worden, zuletzt umfassend durch Wolf-Dieter
Steinmetz’. Abgesehen von geringen Änderungen
aus baustatischen Gründen, die 2003 mit Unterstüt-
zung der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz
vorgenommen wurden, erhielten die Lübbensteine ihr
heutiges Aussehen aufgrund einer Rekonstruktion des
ursprünglichen Bauzustandes nach den Ergebnissen
einer Ausgrabung 1935.
Übersehen wird dabei häufig, dass die seinerzeitige
Ausgrabung primär nicht aus wissenschaftlichem In-
teresse erfolgte. Bereits Anfang 1934 gab es in Helm-
stedt Bestrebungen, eine „Thingstätte" zu errichten.
Von Anfang wurde offenbar hierfür ein Standort in
Nähe eines bekannten Kulturdenkmals gesucht, denn
„wir Helmstedter wissen alle, wie wenig sich in
früheren Jahren die „Höheren Stellen" um die
Erhaltung alter Bauwerke (Stadtmauer; Grabka-
pelle bei der Stephaniekirche) und um die Pfle-
ge geheiligter Plätze (Lübbensteine) gekümmert
haben. Auch um in dieser Hinsicht entschlossen
zuzufassen und nach Möglichkeit das Versäumte
wieder gutzumachen, mußte erst der National-
sozialismus kommen und mit der Aufbauarbeit
beginnen."2
Dass es sich dabei um eine groteske Fehleinschätzung
handelte, wie sie sich an vielen Stellen ähnlich wieder-
holte, sollte nicht zuletzt der Ausgang des Projektes
schonungslos offen legen.3 Um „etwas Großes, der
Natur der Sache entsprechendes zu schaffen"4 wurde
eine Kommission aus Vertretern führender nationalso-
zialistischer Kulturinstitutionen gebildet, darunter der
ehemalige Direktor des heutigen Herzog Anton-Ul-
rich Museums in Braunschweig, Paul-Jonas Meier
als Vertreter des Braunschweiger Landesvereins für
Heimatschutz. Da ein Alternativstandort in der Nähe
zur Eisenbahnstrecke und den dadurch verursachten
Störungen ausschied, einigte man sich schnell auf den
ohnehin favorisierten St. Annenberg. Dass die neoli-
thischen Lübbensteine dabei als „germanische" Grab-
stätte angesprochen wurden, entsprach aber auch

1934 längst nicht mehr dem Stand der Forschung, wie
ein Blick in die in dem Jahr erschienene Auflage von
Kossinnas „deutscher Vorgeschichte" zeigt - einem
Band, der den aktuellen Kenntnisstand der Archäo-
logie aus nationalkonservativer Perspektive durchaus
populärwissenschaftlich zusammenfasste.5 Aber so
genau wollten sich die Planer der Thingstätte wohl
auch gar nicht mit den steinzeitlichen Gräbern ausei-
nandersetzen. Gedacht war zunächst an eine Gestal-
tung des Geländes durch Heckenanpflanzungen, die
Einplanierung unschöner Vertiefungen im Gelände,
aber auch die Entfernung aller störender Momente in
der Umgebung „dazu gehören auch die Reklameschil-
der für Benzin usw."6
Die Schaffung von „Thingstätten" ist ein Phänomen
der ersten Jahre der nationalsozialistischen Diktatur.
Schon die Bezeichnung „Thing" schuf einen völlig ir-
rationalen Bezug zu angeblichen germanischen Ver-
sammlungsstätten, die vermutlich mehr das Produkt
einer romantisierenden nationalen Geschichtsschrei-
bung denn einer historischen Wirklichkeit sind. Die
Thingstätten des Nationalsozialismus waren eine kru-
de Mischung aus Aufmarschplätzen, Freilichttheatern
und pseudo-historischen Memorialstätten. Nachdem
die Verwendung des Begriffes „Thingstätte" 1935
verboten worden war, wurde die Bezeichnung „Wei-
hestätte" verwendet.7 1934 glaubte man in Helm-
stedt, eine Thingstätte schaffen zu können „wie sie
schöner keine Braunschweiger Stadt besitzt."8
Am 28.02.1935 wandte sich der Helmstedter Bür-
germeister Drechsler an den Baunschweiger Landes-
archäologen Hermann Hofmeister:
„Es ist meine Absicht, im Herbst d. Js. auf dem
Wege der Notstandsarbeiten den Lübbensteinen
und der Umgebung dieses Hügels wieder den al-
ten Charakter und das alte Gewand zu geben.
Wäre es ihnen wohl möglich, im Laufe der nächs-
ten Wochen nach Helmstedt zu kommen, damit
ich von Ihnen vor Ort und Stelle die erforderlichen
Anregungen und Anleitungen erhalten kann?"9
Hofmeister war ein bemerkenswertes Beispiel früher
nationalsozialistischer Archäologie.10 Der aus Hanno-
ver stammende promovierte Philologe war als Lehrer
am renommierten Lübecker Johanneum tätig, bis er
1923 wegen antisemitischer Umtriebe aus dem Schul-
dienst entfernt wurde. In den 30er Jahren wurde er
durch archäologische Arbeiten in Schleswig-Holstein
 
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