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"Unter der GrasNarbe" <Veranstaltung, 2014, Hannover>; Schomann, Rainer [Hrsg.]; Schormann, Michael Heinrich [Hrsg.]; Wolschke-Bulmahn, Joachim [Hrsg.]; Winghart, Stefan [Hrsg.]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; VGH-Stiftung [Hrsg.]; Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur [Hrsg.]; Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Unter der GrasNarbe: Freiraumgestaltungen in Niedersachsen während der NS-Diktatur als denkmalpflegerisches Thema : Dokumentation der Tagung vom 26.-29. März 2014 in Hannover — Petersberg: Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG, Heft 45.2015

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Franz, Birgit: Erhalt „bequemer" und „unbequemer" Objekte des Nationalsozialismus: auch eine Frage der Vermittlung?
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https://doi.org/10.11588/diglit.51271#0231
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227

Birgit Franz
Erhalt „bequemer" und „unbequemer" Objekte des Nationalsozialismus-
auch eine Frage der Vermittlung?

Mahnmale, Denkmäler sowie Bau- und Bodendenk-
male leben von der öffentlichen Wahrnehmung! Nur
eine lebendige Erinnerung zeigt, warum das Wissen
um die Vergangenheit für den Erhalt unseres demo-
kratisch bestimmten Miteinanders notwendig ist.
Folglich hängt der Erhalt der als „bequem" bzw. „un-
bequem" erachteten Objekte auch von der Vermitt-
lung der ihnen zugewiesenen Erinnerungsaussagen
ab. Die für eine aktive Erinnerungskultur notwendi-
ge öffentliche Wahrnehmung wandelt sich von Akti-
onsgruppe zu Aktionsgruppe wie von Generation zu
Generation. Welche Erinnerung „unbequem", ver-
meintlicher Weise „bequem" erscheint, entscheidet
das Konstrukt der Wahrheit und deren Vermittlung
bzw. Nicht-Vermittlung. Leider wird dabei allzu oft
mittels nur „halber" Wahrheiten „bequemisiert" -
so wie auch beim hier diskutierten Umgang mit dem
NS-Erbe zu beobachten. Umso wichtiger ist die aktive
persönliche und gemeinschaftliche Auseinanderset-
zung mit der Geschichte, auch um neue Sichtweisen
sowie Multiperspektivität zu generieren. Die Vielfalt
der Kommunikationsdesigns ermöglicht differenten
Zielgruppen spezifische Zugänge. Der vorliegende
Beitrag beleuchtet anhand von ausgewählten Stolper-
steinen im öffentlichen Raum bzw. in der Landschaft
die gesellschaftliche Vermittlungsverantwortung im
Umgang mit dem NS-Erbe.
Sichtbare „Stolpersteine"
für die Erinnerungskultur
Das von Gunter Demnig geschaffene Kunstprojekt
„Stolpersteine"1 verbindet auf ganz unmittelbare
Weise die Vergangenheit mit der Gegenwart und der
Zukunft. Die im öffentlichen Raum verlegten, handge-
fertigten und zu Beginn goldglänzenden „MahnMale"
erinnern unmittelbar dort an die Opfer der NS-Dikta-
tur, wo diese beheimatet waren, vor ihren (!) Häusern,
ihren (!) Schulen, ihren (!) Arbeitsstätten. Damit liegen
die seit 1992 in vielen Ländern Europas platzierten
50.000 „Stolpersteine" nicht irgendwo, sondern vor
uns vertrauten Orten. Sie lassen uns über das individu-
elle Leid des einzelnen Menschen stolpern.
Die Hintergründe des Projektes beleuchten zahlreiche
Interviews, Berichte und Veröffentlichungen, beispiels-
weise der Dokumentarfilm „Stolperstein"2 von Dörte
Franke, aufgeführt beim 61. Internationalen Filmfesti-
val Locarno 2008. Der Film ging danach bundesweit in
die Kinos. Das Künstlerportrait und Roadmovie zeigt

facettenreich, wie aus dem politischen Statement von
einst das größte dezentrale Mahnmal entstand und
warum das einer Bürgerbewegung gleichkommende
Projekt zugleich nicht unumstritten ist. Über den ihm
innewohnenden Vermittlungseffekt schreibt die Film-
journalistin Dr. Sonja M. Schultz, deren Spezialgebiet
der Nationalsozialismus ist:
„Stolperstein zeigt, wie präsent die viel weiter zu-
rückliegenden Verletzungen und Verheerungen
durch den Nationalsozialismus heute noch sind.
Die kleinen Gedenksteine machen etwas greifbar
und sichtbar, was häufig beschwiegen wurde. In
Hamburg ziehen zwei Frauen von Stein zu Stein,
um sie zu polieren. Sie verrichten diese sehr bo-
denständige Ehrerweisung an die Toten auch
wegen und anstelle ihrer Eltern: der Vater einer
der beiden war bei der Waffen-SS. Gesprochen
wurde in der Familie darüber nie. Gunter Demnig
hat die gleiche Erfahrung gemacht. Er fand Fotos,
die seinen Vater als Mitglied der Legion Condor
in Spanien zeigen. Moralisch überlegen fühlt sich
die porträtierte Kindergeneration in diesem Film
jedoch nicht. Sie alle begreifen die Stolpersteine
als Möglichkeit zur Trauer und Anstoß zum Nach-
denken, nicht als Anklage."3
Zwei Jahre später sagt Gunter Demnig im Begleitbuch
„Vor meiner Haustür - ,Stolpersteine' von Gunter
Demnig", in welchem literarische, dokumentarische
und kunsthistorische Perspektiven auf „Verfolgung,
existentielle Beraubung und Exil mit Angst und Entset-
zen"4 mosaikartig zusammengestellt sind: „Dass ich
über Jahre hinweg die Steine verlege, hat, wie ich fest-
stellen kann, zur Folge, dass immer wieder und immer
mehr Jugendliche sich für das Thema Holocaust inte-
ressieren. Schüler befragen wissbegierig Zeitzeugen,
recherchieren vor Ort, leisten Forschungsarbeit mit
Engagement."5 Aus ungezählten Belegbeispielen sei-
en hier zwei Arbeiten zur Veranschaulichung ausge-
wählt. So ging aus der aktiven grenzüberschreitenden,
puzzleartigen Erinnerungsarbeit junger Menschen im
Internationalen Bund (IB) Solingen eine vielschichti-
ge und gerade dadurch emotional bewegende Ver-
öffentlichung6 hervor. Zeitzeugengespräche sowie
Vor-Ort-Recherchen in Solingen und Krakau wurden
um eigene Gedanken ergänzt, der Stolperstein mit
der Inschrift: „Hier wohnte Max Leven/Jg. 1882/Po-
grom 1938 / erschossen von SA"7 wurde mit der dras-
tischen Tatbeschreibung verknüpft, eigene Emotionen
 
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