Reiner Zittlau
Die Gedenkstätte Bergen-Belsen aus Sicht der Denkmalpflege
dem öffentlichen Bewusstsein. Alle drei divergieren-
den Haltungen, die Empörung, der Tilgungswunsch
und die Erhaltungsforderung sind es wert, dokumen-
tiert zu werden. Sie lehren uns ein komplexes Ver-
ständnis über die langfristigen Folgen der NS-Diktatur.
Wendepunkte in der Geschichte, das weiß seit dem
Fall der Berliner Mauer jeder aufmerksam beobachten-
de Mensch in unserem Kulturkreis, setzen Pulverfässer
von Emotionen frei, denen vyohl häufig außerhalb der
Rechtmäßigkeit, aber unaufhaltbar Bilderstürme oder
Zerstörungen von Symbolen und Gebäuden folgten.
Es wäre vollkommen absurd zu glauben, in Berlin
das 28 Jahre lang auftrumpfende Symbol des Frei-
heitsentzugs, die Mauer um den Westteil der Stadt,
die die Menschen der DDR aussperrte und zugleich
einsperrte, damals oder auch später erhalten zu wol-
len. Der Mauerabbau war durch die Politik und die
„Mauerspechte", die seit der „Wende" mit Hammer
und Meißel bewaffneten Bürger, besiegelt. Vollends
absurd wäre es gewesen, wie von manchen öffent-
lich gefordert, den vermeintlichen Schutzwall als Er-
innerungsort wieder zu beleben. Immer und zu Recht
hätte man darin auch die Gefahr einer möglichen Re-
aktivierung gesehen. Nur an vier absolut peripheren
Stellen - weit unter der Promillegrenze der Sperran-
lagenausdehnung - sind anschauliche Reste erhalten
geblieben - in ihrer Bedrohlichkeit während des kalten
Krieges und in ihrer aggressiven Abschreckungsfunk-
tion jedoch kaum noch verständlich. Machen wir uns
die Analogie folgendermaßen bewusst: auch das KZ
von Bergen-Belsen war unaufhaltbar ausgelöscht wor-
den und ist seither unwiederbringlich verloren. Das
Verschwinden des Lagers ist wie das Verschwinden
der Berliner Mauer und der Grenzanlagen zwischen
den beiden deutschen Staaten ein ernst zu nehmen-
der Teil der Geschichte. Er sollte nicht lapidar erklärt
werden, schon gar nicht mit einem einzigen Grund
aus behördlicher Kompetenz. Es ist auch nicht bedau-
erlich, dass das Lager nicht mehr existiert. Es ist viel-
mehr verständlich und erklärbar! Der Zeugniswert für
Lagerbauten, der für die Denkmaleigenschaft anderer
Konzentrationslager entscheidend ist, existiert seit der
Niederlegung des KZs von Bergen-Belsen nicht mehr.
Die archäologisch auffindbaren Reste - und damit na-
türlich das Bodendenkmal - bezeugen das materiell
einst vorhandene Lager in außerordentlich reduzierten
Facetten, wie bei der Berliner Mauer nur im Promille-
bereich. Noch viel mehr als in erhaltenen KZ-Anlagen
trifft beim Blick auf die stummen Fundamente das
Schlagwort Hannah Arendts von der „Banalität des
Bösen" zu. Die spärlich vorhandenen Fundamentreste
sind noch belangloser und austauschbarer als ganze
Baracken eines Konzentrationslagers an anderen Or-
ten, wie der Denkmalpflegetheoretiker Norbert Huse
es treffend beschrieb.4 Jedenfalls ist aus der Zeichen-
sprache dieser niedrigsten Form von Architektur nur
wenig Erkenntnis herauszulesen. Dabei ist unbestrit-
ten, dass die heutige Archäologie die Leistungsfähig-
keit besitzt, bauliche und funktionale Detailfragen zu
klären.
Die Entstehung des Schutzes und der
Schutzgegenstände
Auf der Grundlage einer Landtagsentschließung vom
17. Januar 1990 sind in Bergen-Belsen wesentliche
Bestandteile bis 1993 unter Denkmalschutz gestellt
worden, so der Lagergrundriss und die darauf ent-
standene Gedenkstätte als Flächendenkmal - wie in
der Denkmaltopographie des Landkreises Celle von
1994 dargestellt und veröffentlicht.5 Nach dem spä-
ter differenzierten Verständnis war die Gedenkstätte
im Sinne eines Freiflächen- oder Gartendenkmals zu
verstehen. Das nicht überformte, von Wald über-
wachsene Lagergelände galt verständlicherweise als
Bodendenkmal. Über die Bedeutung des Waldes als
Phänomen und Zeugnis der Verdrängung gab es im
Vorfeld der Neugestaltungen zwar Verständigungen,
aber keinen abschließenden Konsens.6 Bereits 1993
wurde zusätzlich auch der westlich gelegene sowje-
tische Kriegsgefangenenfriedhof südlich des Dorfes
Hörsten, an der Straße von Belsen nach Meisendorf,
ins Verzeichnis aufgenommen (Abb. 4).
Im Zuge der Arbeit an der Denkmaltopographie für
den Landkreis Celle hatte man auch das gesamte
Kasernengelände von Belsen als Gruppe baulicher
Anlagen eingestuft. Im Dezember 1994 folgten Ein-
zelausweisungen der Bestattungsplätze im Kasernen-
bereich: des so genannten Zelttheaterfriedhofs mit
überwiegend jüdisch belegten Gräbern sowie des
so genannten kleinen Friedhofs, auf dem die 140 er-
schlagenen Schergen bestattet sind.
Auf Vorschlag der Gedenkstätte und ihres wissen-
schaftlichen Beirats erfolgte im November 2000 der
Verzeichniseintrag für die Bahnstation mit der damals
noch original erhaltenen Verladerampe, den Gleisan-
lagen von 1936 und der mit Kopfstein gepflasterten
Zufahrtsstraße. Im gleichen Antrag wurde die Auswei-
sung des sogenannten Blocks 88 in der Kaserne als
Einzeldenkmal ins Auge gefasst und vom Niedersäch-
sischen Landesamt für Denkmalpflege vollzogen, um
wenigstens ein Gebäude stellvertretend für das Dis-
placed Persons Camp zu sichern. Im Oktober 2003 er-
folgte ein Austausch von Block 88 gegen den ähnlich
aussehenden Block 89, der ebenfalls als stellvertre-
tend für das Displaced Persons Camp gelten konnte.
Die Gedenkstättenstiftung beantragte im September
2002 eine weitere Eintragung für die sogenannte Ge-
schäftsbaracke 6, der Lagerkommandantur des Ne-
ben-KZs, die sofort vollzogen wurde.
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Die Gedenkstätte Bergen-Belsen aus Sicht der Denkmalpflege
dem öffentlichen Bewusstsein. Alle drei divergieren-
den Haltungen, die Empörung, der Tilgungswunsch
und die Erhaltungsforderung sind es wert, dokumen-
tiert zu werden. Sie lehren uns ein komplexes Ver-
ständnis über die langfristigen Folgen der NS-Diktatur.
Wendepunkte in der Geschichte, das weiß seit dem
Fall der Berliner Mauer jeder aufmerksam beobachten-
de Mensch in unserem Kulturkreis, setzen Pulverfässer
von Emotionen frei, denen vyohl häufig außerhalb der
Rechtmäßigkeit, aber unaufhaltbar Bilderstürme oder
Zerstörungen von Symbolen und Gebäuden folgten.
Es wäre vollkommen absurd zu glauben, in Berlin
das 28 Jahre lang auftrumpfende Symbol des Frei-
heitsentzugs, die Mauer um den Westteil der Stadt,
die die Menschen der DDR aussperrte und zugleich
einsperrte, damals oder auch später erhalten zu wol-
len. Der Mauerabbau war durch die Politik und die
„Mauerspechte", die seit der „Wende" mit Hammer
und Meißel bewaffneten Bürger, besiegelt. Vollends
absurd wäre es gewesen, wie von manchen öffent-
lich gefordert, den vermeintlichen Schutzwall als Er-
innerungsort wieder zu beleben. Immer und zu Recht
hätte man darin auch die Gefahr einer möglichen Re-
aktivierung gesehen. Nur an vier absolut peripheren
Stellen - weit unter der Promillegrenze der Sperran-
lagenausdehnung - sind anschauliche Reste erhalten
geblieben - in ihrer Bedrohlichkeit während des kalten
Krieges und in ihrer aggressiven Abschreckungsfunk-
tion jedoch kaum noch verständlich. Machen wir uns
die Analogie folgendermaßen bewusst: auch das KZ
von Bergen-Belsen war unaufhaltbar ausgelöscht wor-
den und ist seither unwiederbringlich verloren. Das
Verschwinden des Lagers ist wie das Verschwinden
der Berliner Mauer und der Grenzanlagen zwischen
den beiden deutschen Staaten ein ernst zu nehmen-
der Teil der Geschichte. Er sollte nicht lapidar erklärt
werden, schon gar nicht mit einem einzigen Grund
aus behördlicher Kompetenz. Es ist auch nicht bedau-
erlich, dass das Lager nicht mehr existiert. Es ist viel-
mehr verständlich und erklärbar! Der Zeugniswert für
Lagerbauten, der für die Denkmaleigenschaft anderer
Konzentrationslager entscheidend ist, existiert seit der
Niederlegung des KZs von Bergen-Belsen nicht mehr.
Die archäologisch auffindbaren Reste - und damit na-
türlich das Bodendenkmal - bezeugen das materiell
einst vorhandene Lager in außerordentlich reduzierten
Facetten, wie bei der Berliner Mauer nur im Promille-
bereich. Noch viel mehr als in erhaltenen KZ-Anlagen
trifft beim Blick auf die stummen Fundamente das
Schlagwort Hannah Arendts von der „Banalität des
Bösen" zu. Die spärlich vorhandenen Fundamentreste
sind noch belangloser und austauschbarer als ganze
Baracken eines Konzentrationslagers an anderen Or-
ten, wie der Denkmalpflegetheoretiker Norbert Huse
es treffend beschrieb.4 Jedenfalls ist aus der Zeichen-
sprache dieser niedrigsten Form von Architektur nur
wenig Erkenntnis herauszulesen. Dabei ist unbestrit-
ten, dass die heutige Archäologie die Leistungsfähig-
keit besitzt, bauliche und funktionale Detailfragen zu
klären.
Die Entstehung des Schutzes und der
Schutzgegenstände
Auf der Grundlage einer Landtagsentschließung vom
17. Januar 1990 sind in Bergen-Belsen wesentliche
Bestandteile bis 1993 unter Denkmalschutz gestellt
worden, so der Lagergrundriss und die darauf ent-
standene Gedenkstätte als Flächendenkmal - wie in
der Denkmaltopographie des Landkreises Celle von
1994 dargestellt und veröffentlicht.5 Nach dem spä-
ter differenzierten Verständnis war die Gedenkstätte
im Sinne eines Freiflächen- oder Gartendenkmals zu
verstehen. Das nicht überformte, von Wald über-
wachsene Lagergelände galt verständlicherweise als
Bodendenkmal. Über die Bedeutung des Waldes als
Phänomen und Zeugnis der Verdrängung gab es im
Vorfeld der Neugestaltungen zwar Verständigungen,
aber keinen abschließenden Konsens.6 Bereits 1993
wurde zusätzlich auch der westlich gelegene sowje-
tische Kriegsgefangenenfriedhof südlich des Dorfes
Hörsten, an der Straße von Belsen nach Meisendorf,
ins Verzeichnis aufgenommen (Abb. 4).
Im Zuge der Arbeit an der Denkmaltopographie für
den Landkreis Celle hatte man auch das gesamte
Kasernengelände von Belsen als Gruppe baulicher
Anlagen eingestuft. Im Dezember 1994 folgten Ein-
zelausweisungen der Bestattungsplätze im Kasernen-
bereich: des so genannten Zelttheaterfriedhofs mit
überwiegend jüdisch belegten Gräbern sowie des
so genannten kleinen Friedhofs, auf dem die 140 er-
schlagenen Schergen bestattet sind.
Auf Vorschlag der Gedenkstätte und ihres wissen-
schaftlichen Beirats erfolgte im November 2000 der
Verzeichniseintrag für die Bahnstation mit der damals
noch original erhaltenen Verladerampe, den Gleisan-
lagen von 1936 und der mit Kopfstein gepflasterten
Zufahrtsstraße. Im gleichen Antrag wurde die Auswei-
sung des sogenannten Blocks 88 in der Kaserne als
Einzeldenkmal ins Auge gefasst und vom Niedersäch-
sischen Landesamt für Denkmalpflege vollzogen, um
wenigstens ein Gebäude stellvertretend für das Dis-
placed Persons Camp zu sichern. Im Oktober 2003 er-
folgte ein Austausch von Block 88 gegen den ähnlich
aussehenden Block 89, der ebenfalls als stellvertre-
tend für das Displaced Persons Camp gelten konnte.
Die Gedenkstättenstiftung beantragte im September
2002 eine weitere Eintragung für die sogenannte Ge-
schäftsbaracke 6, der Lagerkommandantur des Ne-
ben-KZs, die sofort vollzogen wurde.
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