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Der Gedenkstättenpark ab Herbst 1945
Als Besucher der Gedenkstätte im freien Gelände
können wir feststellen, dass es neben den geringen
Resten des Konzentrationslagers eine ungewöhnliche
Nachkriegsgestaltung gibt, die in ihrer Überlieferung
seit der Fertigstellung 1961 noch nahezu vollständig
erlebt werden kann. Für ihre Entstehungsgeschichte,
die an anderer Stelle nachzulesen ist, scheint mir nur
Folgendes wichtig zu sein: Ihre ab Spätsommer 1945
agierenden, deutschen Architekten gehörten nicht
nur einer konservativen Gestaltungsrichtung an; in-
nerhalb ihres Metiers steckten sie auch in „biographi-
schen Verflechtungen" mit dem NS-System.7 Dagegen
opponierten Vertreter jüdischer Verbände und erreich-
ten die Rücknahme eines viel zu großen Turms mit ei-
ner inneren Versammlungshalle und die Reduzierung
der Massengrabaufschüttungen von acht auf weniger
als zwei Meter Höhe. Die ursprüngliche Planung des
Landschaftsarchitekten Wilhelm Hübotter entmate-
rialisierte sich durch diese Intervention. Im Ergebnis
entstand nach und nach ein Gedenkstättenpark ohne
kompromittierende architektonische Zeichen. Die mit
Buckelquadern ausgeführten Massengrabeinfassun-
gen stammen aus einer späteren Phase der sechziger
Jahre. Insgesamt können wir innerhalb des Gesamt-
bildes heute einzelne Gestaltungselemente wahr-
nehmen, die funktional einen nachvollziehbaren Sinn
ergeben und aus einem Zeitraum über mehr als ein-
einhalb Jahrzehnten stammen. Sie gehören gestalte-
risch nicht wirklich zusammen, ergeben aber dennoch
ein eindrucksvolles Gesamtbild. Ich will deshalb den
Versuch machen, die Gedenkstättenlandschaft spre-
chen zu lassen und ihre Elemente in ihrer Qualität zu
würdigen.
Wenn man als Besucher das Gedenkstättengelände
durch den alten Haupteingang betritt, so wie er zwi-
schen 1945 und 1961 angelegt wurde, durchschreitet
man ein Tor in einer Wand, die den Eintretenden von
einer Außenwelt in einen der Stille verpflichteten be-
sonderen Landschaftsbereich führt. In der Wegschnei-
se, die auf den Bergen-Belsen-Stein zuführt, wird man
beidseitig von lichtem Wald begleitet, der sich kurz
darauf in die Heidelandschaft öffnet. Man fühlt sich
auf diesem Weg in eine Richtung geleitet, dessen Öff-
nung auch eine Öffnung des Atems und des Herzens
bewirkt. Jeder am Bergen-Belsen-Stein Angekomme-
ne nimmt dort aufatmend die Heidelandschaft mit der
Weite des Himmels wahr. Da das Gelände von einer
umlaufenden Waldkante gerahmt ist, weiß er schon
jetzt, dass der Gang über den Friedhof kein endloser
ist. Mit den ersten rechteckig erhöhten, in der Fläche
riesenhaften Massengräbern im Blick, wird man aber
gerade an dieser Stelle ergriffen sein. Ich meine, so
funktioniert Kunst in der Landschaftsgestaltung. Mit
ihr hat die Gedenkstätte einen Auftakt erhalten, der
eine singuläre Wirkung erzeugt (Abb. 5, 6).
5 Wegeverbindung zwischen Haupteingang und Gedenkstättenpark, 2014. Foto: Christina Teufer, Niedersächsisches Lan-
desamt für Denkmalpflege.
Der Gedenkstättenpark ab Herbst 1945
Als Besucher der Gedenkstätte im freien Gelände
können wir feststellen, dass es neben den geringen
Resten des Konzentrationslagers eine ungewöhnliche
Nachkriegsgestaltung gibt, die in ihrer Überlieferung
seit der Fertigstellung 1961 noch nahezu vollständig
erlebt werden kann. Für ihre Entstehungsgeschichte,
die an anderer Stelle nachzulesen ist, scheint mir nur
Folgendes wichtig zu sein: Ihre ab Spätsommer 1945
agierenden, deutschen Architekten gehörten nicht
nur einer konservativen Gestaltungsrichtung an; in-
nerhalb ihres Metiers steckten sie auch in „biographi-
schen Verflechtungen" mit dem NS-System.7 Dagegen
opponierten Vertreter jüdischer Verbände und erreich-
ten die Rücknahme eines viel zu großen Turms mit ei-
ner inneren Versammlungshalle und die Reduzierung
der Massengrabaufschüttungen von acht auf weniger
als zwei Meter Höhe. Die ursprüngliche Planung des
Landschaftsarchitekten Wilhelm Hübotter entmate-
rialisierte sich durch diese Intervention. Im Ergebnis
entstand nach und nach ein Gedenkstättenpark ohne
kompromittierende architektonische Zeichen. Die mit
Buckelquadern ausgeführten Massengrabeinfassun-
gen stammen aus einer späteren Phase der sechziger
Jahre. Insgesamt können wir innerhalb des Gesamt-
bildes heute einzelne Gestaltungselemente wahr-
nehmen, die funktional einen nachvollziehbaren Sinn
ergeben und aus einem Zeitraum über mehr als ein-
einhalb Jahrzehnten stammen. Sie gehören gestalte-
risch nicht wirklich zusammen, ergeben aber dennoch
ein eindrucksvolles Gesamtbild. Ich will deshalb den
Versuch machen, die Gedenkstättenlandschaft spre-
chen zu lassen und ihre Elemente in ihrer Qualität zu
würdigen.
Wenn man als Besucher das Gedenkstättengelände
durch den alten Haupteingang betritt, so wie er zwi-
schen 1945 und 1961 angelegt wurde, durchschreitet
man ein Tor in einer Wand, die den Eintretenden von
einer Außenwelt in einen der Stille verpflichteten be-
sonderen Landschaftsbereich führt. In der Wegschnei-
se, die auf den Bergen-Belsen-Stein zuführt, wird man
beidseitig von lichtem Wald begleitet, der sich kurz
darauf in die Heidelandschaft öffnet. Man fühlt sich
auf diesem Weg in eine Richtung geleitet, dessen Öff-
nung auch eine Öffnung des Atems und des Herzens
bewirkt. Jeder am Bergen-Belsen-Stein Angekomme-
ne nimmt dort aufatmend die Heidelandschaft mit der
Weite des Himmels wahr. Da das Gelände von einer
umlaufenden Waldkante gerahmt ist, weiß er schon
jetzt, dass der Gang über den Friedhof kein endloser
ist. Mit den ersten rechteckig erhöhten, in der Fläche
riesenhaften Massengräbern im Blick, wird man aber
gerade an dieser Stelle ergriffen sein. Ich meine, so
funktioniert Kunst in der Landschaftsgestaltung. Mit
ihr hat die Gedenkstätte einen Auftakt erhalten, der
eine singuläre Wirkung erzeugt (Abb. 5, 6).
5 Wegeverbindung zwischen Haupteingang und Gedenkstättenpark, 2014. Foto: Christina Teufer, Niedersächsisches Lan-
desamt für Denkmalpflege.