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auch für die Mauer, an der man Kränze niederlegen,
Gedenken zelebrieren, Klage führen oder in Andacht
verharren mag.
Das weit hinten im Gelände stehende, am Allersee-
lentag 1945 geweihte Holzkreuz ist mit dem Leid
polnischer Häftlinge verbunden. Es geht auf die Ini-
tiative des polnischen Komitees im Displaced Persons
Camp zurück. Das inzwischen erneuerte Kreuz sym-
bolisiert christliche Werte, so wie die Inschriftenmauer
die politisch-gesellschaftlichen Haltungen einzelner
Staaten gegenüber dem Massenmord in Bergen-Bel-
sen ausdrückt. Mit zurückhaltendem Anspruch steht
das Kreuz eher im Hintergrund, am Rande des Ge-
denkstättengeländes, das auf die Auslöschung der
jüdischen Zivilisation Bezug nimmt. Eine neuere Zutat
am äußeren Rand der Lagergrenze ist das Haus der
Stille, ein konfessionsübergreifender, architektonisch
ansehnlicher Andachtsraum, der am 16. April 2000
anlässlich des 55. Jahrestags der Befreiung eingeweiht
wurde.
Schließlich muss noch das Bodenrelief und die Be-
pflanzung Erwähnung finden. Die künstlichen Bo-
denwellen gehen wahrscheinlich auf die gewaltigen
Bodenverschiebungen zurück, die Raupen bei der An-
lage der Massengräber verursacht haben. Das gleich-
förmigere Lager-Nivellement, das vorher bestand,
existiert dadurch nicht mehr. Ob es auch ein Versuch
der Geschichtstilgung war? Man wird es aufgrund der
kontroversen Geisteshaltungen und Gegnerschaften
weder verneinen noch mit Sicherheit bejahen können.
Die dritte Alternative des Zufalls, der Fakten schafft,
wurde bisher nicht bedacht. Die Bepflanzung schließ-
lich ist im Gedenkstättenpark von äußerster Zurück-
haltung geprägt. Sie ist geradezu kahl, von wenigen
Birken abgesehen. In der ganzen Fläche ist nur Heide-
kraut als dichter Bodendecker zu sehen, der ein Blei-
ben auf den Wegen gebietet. Umso intensiver wird
das Spiel weniger Farben -je nach Jahreszeit und Wet-
ter. Besonders an sonnigen Spätsommertagen glüht
das hellviolett blühende Heidekraut im Kontrast mit
den weißen Birkenstämmen. Wenn wir uns den Un-
terschied zu traditionellen und kleinteilig gestalteten,
Blumen geschmückten Friedhöfen bewusst machen,
wird klar, worum es geht: die eingangs wahrgenom-
mene Weite des Raums wird von der intensiven Tiefe
eines großflächigen Farbspiels, das im Sommer eine
gewisse Dramatik erreicht, begleitet. In Verbindung
mit der Stille, die im Gedenkstättengelände herrscht,
wird sich kaum ein Mensch des andächtigen Gefühls
erwehren, das dadurch ausgelöst wird (Abb. 7).
Als Fazit der Gestaltungsbeurteilung lässt sich zusam-
menfassen: Das Lager von Bergen-Belsen ist in dem
1945 bis 1961 entstandenen Gedenkstättenbereich
ein Friedhof geworden, der ungewöhnliche ästheti-
sche Qualitäten aufweist. Eine Inszenierung mit ar-
7 Intakte Heidekrautfläche an einem der Verbindungswege, 2014. Foto: Christina Teufer, Niedersächsisches Landesamt für
Denkmalpflege.
auch für die Mauer, an der man Kränze niederlegen,
Gedenken zelebrieren, Klage führen oder in Andacht
verharren mag.
Das weit hinten im Gelände stehende, am Allersee-
lentag 1945 geweihte Holzkreuz ist mit dem Leid
polnischer Häftlinge verbunden. Es geht auf die Ini-
tiative des polnischen Komitees im Displaced Persons
Camp zurück. Das inzwischen erneuerte Kreuz sym-
bolisiert christliche Werte, so wie die Inschriftenmauer
die politisch-gesellschaftlichen Haltungen einzelner
Staaten gegenüber dem Massenmord in Bergen-Bel-
sen ausdrückt. Mit zurückhaltendem Anspruch steht
das Kreuz eher im Hintergrund, am Rande des Ge-
denkstättengeländes, das auf die Auslöschung der
jüdischen Zivilisation Bezug nimmt. Eine neuere Zutat
am äußeren Rand der Lagergrenze ist das Haus der
Stille, ein konfessionsübergreifender, architektonisch
ansehnlicher Andachtsraum, der am 16. April 2000
anlässlich des 55. Jahrestags der Befreiung eingeweiht
wurde.
Schließlich muss noch das Bodenrelief und die Be-
pflanzung Erwähnung finden. Die künstlichen Bo-
denwellen gehen wahrscheinlich auf die gewaltigen
Bodenverschiebungen zurück, die Raupen bei der An-
lage der Massengräber verursacht haben. Das gleich-
förmigere Lager-Nivellement, das vorher bestand,
existiert dadurch nicht mehr. Ob es auch ein Versuch
der Geschichtstilgung war? Man wird es aufgrund der
kontroversen Geisteshaltungen und Gegnerschaften
weder verneinen noch mit Sicherheit bejahen können.
Die dritte Alternative des Zufalls, der Fakten schafft,
wurde bisher nicht bedacht. Die Bepflanzung schließ-
lich ist im Gedenkstättenpark von äußerster Zurück-
haltung geprägt. Sie ist geradezu kahl, von wenigen
Birken abgesehen. In der ganzen Fläche ist nur Heide-
kraut als dichter Bodendecker zu sehen, der ein Blei-
ben auf den Wegen gebietet. Umso intensiver wird
das Spiel weniger Farben -je nach Jahreszeit und Wet-
ter. Besonders an sonnigen Spätsommertagen glüht
das hellviolett blühende Heidekraut im Kontrast mit
den weißen Birkenstämmen. Wenn wir uns den Un-
terschied zu traditionellen und kleinteilig gestalteten,
Blumen geschmückten Friedhöfen bewusst machen,
wird klar, worum es geht: die eingangs wahrgenom-
mene Weite des Raums wird von der intensiven Tiefe
eines großflächigen Farbspiels, das im Sommer eine
gewisse Dramatik erreicht, begleitet. In Verbindung
mit der Stille, die im Gedenkstättengelände herrscht,
wird sich kaum ein Mensch des andächtigen Gefühls
erwehren, das dadurch ausgelöst wird (Abb. 7).
Als Fazit der Gestaltungsbeurteilung lässt sich zusam-
menfassen: Das Lager von Bergen-Belsen ist in dem
1945 bis 1961 entstandenen Gedenkstättenbereich
ein Friedhof geworden, der ungewöhnliche ästheti-
sche Qualitäten aufweist. Eine Inszenierung mit ar-
7 Intakte Heidekrautfläche an einem der Verbindungswege, 2014. Foto: Christina Teufer, Niedersächsisches Landesamt für
Denkmalpflege.